Die Rebellen von Irland
wir in den letzten dreißig Jahren gebaut haben, sind wir auch ohne das Geld sehr gut zurechtgekommen. Die Kirche wird sich der Politik also nicht beugen. Der Kardinal hat viele Jahre in Rom verbracht und deshalb sicher einen weiteren Blick als die meisten Priester hier. Und auf lange Sicht wird er Recht behalten. Die Kirche wird ihren angestammten Platz als übergeordnete Autorität einnehmen, sobald Irland unabhängig ist.«
»Sie glauben, Irland wird unabhängig werden?«
»Zweifellos. Redmond und seine Irish Parliamentary Party haben achtzig Sitze. Sie werden Druck auf die Regierung ausüben, bis die Briten nicht mehr anders können. Früher oder später werden ihre Stimmen wie damals bei Parnell bei einer Wahl den Ausschlag geben. Und dann wird die begrenzte Selbstverwaltung, die Home Rule, der Preis sein. Es mag noch einige Zeit dauern und wir müssen uns mit Geduld wappnen. Aber die Selbstverwaltung wird kommen.«
»Sie scheinen sich von der Politik noch nicht gänzlich losgesagt zu haben, wie ich sehe«, bemerkte der Graf mit einem freundlichen Lächeln. »Doch sagen Sie, Sheridan, sind Sie auch dieser Ansicht?«
»Nein. Ich sage etwas ganz anderes voraus.« Der Gastgeber überlegte kurz, bevor er fortfuhr: »Zunächst einmal haben Sie bei Ihrer Argumentation etwas vergessen, Hochwürden. Redmond mag im Unterhaus über wichtige Stimmen verfügen und ein irlandfreundliches Gesetz durchbringen, wie es ja schon zuvor unter Gladstone der Fall war. Nur, das britische Oberhaus wird es wieder kippen, und das vermutlich bis zum Jüngsten Tag. Doch ist das andererseits gar nicht mehr entscheidend. Denn die gegenwärtige Irlandpolitik der Briten wird Früchte tragen.«
Schon vor einigen Jahren, erinnerte er die Anwesenden, hätten die Briten der protestantischen Gentry die Verwaltung auf lokaler Ebene abgenommen und sie ortsansässigen, überwiegend katholischen Männern übertragen, Kaufleuten, Händlern und Anwälten. Die Grundbesitzer hätten ihre Macht unwiederbringlich verloren. Und im August sei ein neues, verbessertes Landgesetz verabschiedet worden.
»Haben Sie sich die Bestimmungen dieses Gesetzes genau angesehen? Sie laufen darauf hinaus, dass die britische Regierung das Land der protestantischen Grundbesitzer aufkauft. In zehn Jahren wird es keine protestantische Oberschicht mehr geben. Irland wird ein Land katholischer Bauern sein. Wahrscheinlich werden Redmond und seine Anhänger trotzdem versuchen, die Selbstverwaltung durchzusetzen. Doch wenn sie damit scheitern, wird das in Irland meiner Einschätzung nach keinen Aufstand hervorrufen, weil die Selbstverwaltung den meisten Iren egal ist.«
Sheridan Smith blickte zufrieden in die Runde. Der Graf nickte nachdenklich und ließ den Blick um den Tisch wandern. Bei Willy hielt er an.
»Mich würde interessieren, was dieser junge Mann denkt«, sagte er freundlich.
Willy spürte, wie er blass wurde.
Alle sahen ihn an. Welche Antwort erwartete man von ihm? Würde er nicht unweigerlich jemanden in dieser Runde kränken und seine Chancen ruinieren? Er holte tief Luft.
»Mein Vater ist Pächter und will nur eines: sein Land kaufen.« Er verstummte. Alle nickten. Also hatte er nichts Falsches gesagt. Er konnte es dabei bewenden lassen. Seine Anspannung lockerte sich, doch im selben Moment stand ihm plötzlich das Bild seines Vaters und Mrs Budges vor Augen. Dann dachte er an seine Mutter und ihren Zorn. Er hatte soeben die Wahrheit gesagt, aber nicht die ganze. Wusste Father MacGowan das? Wartete er womöglich wie im Beichtstuhl auf etwas Handfesteres? Die anderen hatten noch nichts gesagt, als spürten sie sein Zögern. Willy schlug den Blick nieder und dann ließ er sich von seinen Gefühlen mitreißen: »Aber in Wirklichkeit werden er oder meine Mutter erst zufrieden sein, wenn alle protestantischen Engländer Irland verlassen haben und Irland frei ist.«
So, er hatte es gesagt. Einen kurzen Moment lang schienen die um den Tisch Versammelten die Luft anzuhalten. Hatte er sich soeben um seine Zukunft geredet? Jedenfalls hatte er Sheridan widersprochen und ihn wahrscheinlich verärgert, obwohl der Journalist vielleicht Arbeit für ihn gehabt hätte. Er hatte versagt, noch bevor er angefangen hatte. Er hatte sich selbst alles verdorben.
Der Graf, der von solchen materiellen Ängsten nichts wusste, schien vergnügt. Gogarty, der Willys Probleme besser verstand, kam ihm zu Hilfe. »Natürlich, er hat vollkommen Recht«, rief er fröhlich. »Ich hätte
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