Die Rebellen von Irland
Rose Budge einen Turban aus einem Stoff, der mit einem verschlungenen Muster in Brauntönen bedruckt war. Um die Schultern hatte sie einen indischen Schal gelegt. Rose Budge hatte sich trotz der vielen Jahre kaum verändert, nur ihr Gesicht war ein wenig faltiger geworden.
»Sie sind jetzt ein junger Mann, Willy«, sagte sie.
Willy blickte auf einen Stuhl, und sie bedeutete ihm mit einer Handbewegung, sich zu setzen. Er verspürte keine Angst. Der Umgang mit Dubliner Geschäftsleuten hatte sein Selbstbewusstsein gestärkt, und er war ja auch geschäftlich hier, rief er sich in Erinnerung. Zudem hatte er sich angenehme Umgangsformen zugelegt. Höflich, aber ohne Umschweife kam er auf den Zweck seines Besuches zu sprechen. »Ich komme im Namen meines Vaters, Mrs Budge«, sagte er.
Die neuen, unter Wyndham verabschiedeten Gesetze zur Landreform boten ganz außerordentliche Bedingungen. Der für das Land zu zahlende Preis betrug das Achtundzwanzigfache der jährlichen Pacht. Ein Grundbesitzer, der den entsprechenden Geldbetrag in einer sofortigen Einmalzahlung vom Staat erhielt, konnte damit fast sicher einen höheren Gewinn erwirtschaften. Der Pächter andererseits brauchte keinerlei Anzahlung zu leisten. Der Staat gewährte ein nur mit drei Prozent verzinstes Darlehen, zahlbar über einen Zeitraum von achtundsechzig Jahren. Abgesehen davon, dass schon eine geringfügige Inflation diese Zahlungen zu unerheblichen Summen schrumpfen ließ, konnte der Pächter seine Ausgaben dadurch fast sicher drastisch reduzieren. Der Staat verwendete gewissermaßen einen Teil des Reichtums, den er durch sein Empire erwirtschaftet hatte, dazu, das Land der protestantischen Grundbesitzer aufzukaufen und es in irische Hände zurückzugeben. Es überraschte daher kaum, dass im Vergleich zu bisherigen Kaufangeboten etwa zwölfmal so viele Bauern das Angebot wahrnahmen. Die Voraussage Sheridan Smiths schien sich zu erfüllen: Einige vermuteten, dass ein Drittel oder mehr des gesamten Landes den Besitzer wechseln würde.
Behutsam und mit höflichen Worten legte Willy die Gesetzgebung dar. Die Bedingungen seien so günstig, erklärte er, dass sowohl sein Vater wie zweifellos auch sie selbst sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen würden. Er betonte nicht ganz wahrheitsgemäß die große Verbundenheit seines Vaters mit der Familie Budge und dass er in Frieden mit ihr leben wolle. Nichts sollte sich ändern, und doch würde es allen besser gehen, sagte er in wohlgesetzten, respektvollen Worten, und Mrs Budge hörte ihm aufmerksam zu. Als er fertig war, schwieg sie eine Weile. Dann erschien ein Lächeln auf ihrem Gesicht.
»Glauben Sie an die Seelenwanderung, Willy?«, fragte sie.
Er starrte sie verständnislos an. »Ich müsste Father MacGowan fragen«, brachte er schließlich heraus. »Aber eher nicht.«
»Sie sollten sich damit beschäftigen«, fuhr Mrs Budge eifrig fort. »Ein überaus interessantes Thema. Ich überlegte eben, was Sie in einem früheren Leben gewesen sein könnten. Ich selbst …« Sie enthüllte nicht, was sie gewesen war, wahrscheinlich etwas so Exotisches, dass es für Willys schlichte Ohren nicht geeignet war. »In uns allen steckt mehr, als wir denken«, fuhr sie mit einem Blick auf die sepiabraune Fotografie an der Wand fort. »Hier in Dublin interessieren sich übrigens viele Menschen für die Theosophie. Sogar Mr Yeats beschäftigt sich damit. Wir hängen alle miteinander zusammen, doch bedürfen wir, um das zu erkennen, der geistigen Erleuchtung. Buddhismus, Hinduismus und sogar das Christentum sind miteinander verwandt. Darin liegt meines Erachtens unsere Zukunft. Wir denken zu sehr an materielle Dinge.«
Offenbar gehörte sie zu den Exzentrikern, von denen es in Dublin gegenwärtig so viele gab.
Wer nichts anderes zu tun hatte und vielleicht ein wenig knapp bei Kasse war – und wer wäre das nicht gewesen? –, gab sich für den Rest seines Lebens einfach als »Exzentriker« aus, und man verzieh ihm alles.
Dann verstand er Rose Budge plötzlich. Sie hatte ja nichts anderes, an dem sie sich festhalten konnte, sie bestand gewissermaßen aus dem Land droben in Rathconan. Sie würde es nie hergeben. Das ganze spiritistische Gerede war nur ein fadenscheiniger Vorwand, hinter dem sie ihre wahren Absichten verbarg.
»Und das Land meines Vaters?«, fragte er.
»Ich muss darüber nachdenken, Willy. Aber so wie es jetzt steht, geht es uns doch allen gut. Sagen Sie das Ihrem Vater. Die ganze Aufregung legt
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