Die Rebellen von Irland
Anne und Walter bildeten die Nachhut. Sie sprachen leise miteinander. Walter erzählte ihr, was die Männer am Morgen diskutiert hatten, und sie erzählte ihm, was sie über Orlandos Frau erfahren hatte. »Sollte ich ihn darauf ansprechen? Was meinst du?«, fragte sie ihn.
»Du könntest ihm einen Anlass geben, das Thema anzuschneiden. Mehr würde ich an deiner Stelle nicht tun«, riet ihr Walter. »Aber vielleicht kannst du das besser einschätzen, du bist schließlich seine Schwester.« Er seufzte. »Gott sei Dank für unsere wunderbaren Kinder«, sagte er inbrünstig.
»Ja. Gott sei Dank für sie«, stimmte sie zu.
Aus Respekt vor Lawrences Frömmigkeit führte Orlando die Gruppe nicht am heiligen Brunnen von Portmarnock vorbei, sondern nahm den direkten Weg zum Strand, der durch die Dünen führte. Dort liefen sie alle zusammen am Ufer entlang in Richtung Howth. Es war ein warmer Nachmittag. Einige Zeit später begegneten sie einem Fischer, der bei seinem kleinen Boot saß und seine Netze flickte. Sie hielten kurz an und unterhielten sich mit ihm. O’Byrne fragte Orlando nach der kleinen Insel, die vor dem Ben of Howth lag.
»Wir nennen sie Ireland’s Eye«, erklärte Orlando. »Nur Fischer verirren sich dorthin.«
O’Byrne drehte sich zu dem Mann mit dem Boot um.
»Würdest du mich für einen Schilling zur Insel bringen?« Dieses großzügige Angebot nahm der Fischer gerne an. »Wer begleitet mich?«, fragte O’Byrne die anderen. Die Männer wirkten nicht besonders begeistert, aber Anne lächelte.
»Ich – falls Walter nichts dagegen hat. Als Kind hat mich mein Vater einmal dorthin mitgenommen.«
Walter sah auf das Meer. Es lag spiegelglatt und ruhig da. Der Fischer war zwar bereits ergraut, wirkte aber immer noch kräftig genug, um etwaige Strömungen zu meistern. »Wenn du möchtest«, sagte Walter also gutmütig.
Die Überfahrt verlief ruhig. Anne und O’Byrne saßen im Heck und sahen dem Fischer zu, der langsam aber stetig ruderte. Als sie das seichte Gewässer verließen, sagte O’Byrne freundlich zu dem Mann: »Heute ist der Bealtaine-Abend.«
»Das stimmt«, erwiderte der Mann leise. »Auf den Hügeln werden sich heute Nacht Menschen versammeln.«
Das alte keltische Maifest wurde noch immer gefeiert. In vielen Gegenden stiegen die Menschen noch auf die Hügel, um den Sonnenaufgang zu betrachten. Anne hatte gehört, dass manche Rinderhirten einem alten heidnischen Brauch frönten und ihre Herden an diesem Tag zwischen zwei Feuern hindurchtrieben. Sie fragte O’Byrne, ob er so etwas schon einmal gesehen hatte.
»Oh ja, das habe ich«, antwortete er.
Vielleicht lag es an seinen grünen Augen, die sie an ihren Sohn erinnerten. Vielleicht auch daran, dass er durch sein helles Haar jünger wirkte, als er war. Dieser irische Gentleman hatte etwas beinahe Jungenhaftes an sich, das Anne sehr anziehend fand.
»Wahrscheinlich machen Sie das oben in Wicklow auch«, neckte sie ihn sanft.
»Wir auf Rathconan sind doch keine Heiden«, antwortete er lächelnd.
»Und was die Mädchen angeht …«, fuhr sie fort. Sie hatte gehört, dass nicht jedes Mädchen, das am Bealtaine-Fest als Jungfrau den Hügel erklomm, auch wieder als Jungfrau herunterkam.
»Für meine Vorfahren kann ich nicht bürgen«, erwiderte O’Byrne und lachte.
Die Insel rückte immer näher, schon erkannte man die Felsen am Strand. Schweigend betrachteten sie das Eiland. Anne genoss die weiche Luft und die Sonne auf ihrem Gesicht.
Der Fischer legte an einem kleinen Kiesstrand an. Anne stieg auf einen Grashügel und winkte ihrem Mann, der jetzt nur noch eine ferne Silhouette war, über das Wasser hinweg zu. Er winkte zurück. Nun, da sie sicher angekommen war, setzten die Männer drüben ihren Spaziergang zum südlichsten Punkt der Bucht fort, wo das Land sumpfig wurde. Wahrscheinlich hoffte Lawrence dort auf Jagdbeute.
Anne und O’Byrne erforschten derweil die Insel. Sie sahen sich jeden kleinen Strand an. Am Fuß der gespaltenen Klippe deutete Anne auf die Höhlen, die sich im Fels gebildet hatten. »Dort könnte ein Einsiedler leben«, sagte sie. Sie liefen rund um die Insel, bis sie wieder bei dem Fischer angekommen waren. Er hatte sich ein Netz mitgenommen und besserte es sorgfältig aus. Er schien es nicht eilig haben, zurückzufahren. Sie umrundeten die Insel erneut und ließen sich schließlich an einem Felsentümpel nieder. Die Sonne glitzerte auf dem Wasser. Sie beobachteten einen Krebs auf seinem langsamen Weg durch
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