Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Rebellen von Irland

Die Rebellen von Irland

Titel: Die Rebellen von Irland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
Vom Netzwerk:
hatte sich verspätet und war erst sehr spät in Richtung Christ Church aufgebrochen. Als er ankam, war die Gemeinde bereits in der Kirche, und Wentworth saß mit seinem großen Gefolge in den königlichen Bänken. Hastig huschte Pincher in die Kirche und setzte sich unauffällig in eine der hinteren Reihen. Vor lauter Eile bemerkte er seine Umgebung kaum, kniete sich schnell zu einem kurzen Gebet hin und erhob dann langsam den Blick nach Osten zum Chor. Und riss entsetzt die Augen auf. Der östliche Bereich des Kirchenschiffes hatte sich bis zur Unkenntlichkeit verändert.
    Der Abendmahlstisch stand nicht mehr in der Mitte, wo er bequem von allen Gläubigen erreicht werden konnte, sondern am Ostrand. Er war auf ein Podest gestellt und in einen Hochaltar verwandelt worden. Diesen Altar bedeckte ein mit glänzenden Goldfäden besticktes Altartuch, das mit sechs Kerzen in reich verzierten, silbernen Kerzenleuchtern geschmückt war. Vor dem Altar stand der Geistliche, der einen so prächtigen Chorrock trug, dass er gut in eine papistische Kirche in Spanien oder sogar Rom gepasst hätte.
    Pincher starrte fassungslos auf diesen grässlichen Anblick. Er erhob sich halb aus dem Sitz. Nur sein Selbsterhaltungstrieb hielt ihn davon ab, zu schreien: »Papisten! Götzendiener!«
    Dafür war der verfluchte Wentworth verantwortlich. Genau solche hochanglikanischen Rituale gefielen nämlich König Karl I. und seiner Frau, der katholischen Tochter des französischen Königs. Der ferne Hochaltar, die Kerzen, die reich gekleideten Pfarrer. Formelle Zeremonien waren wichtiger als die Predigt. Die Macht des Königs und seines Bischofs war größer als die der biblischen Lehre und der moralischen Autorität. Dies war Weltlichkeit und Korruption und nur dem Namen nach nicht katholisch. Es war die Verkörperung all dessen, was die Puritaner hassten und verabscheuten.
    Hier vor seinen Augen war Christ Church – der Ort seiner Predigten, das Zentrum des protestantischen Dublin, der heilige, calvinistische Tempel inmitten der Wildnis irischen Aberglaubens – zu einer Heimstatt für Papisten und Götzendiener gemacht worden. Unter Wentworths Herrschaft würde Pincher nie wieder gebeten werden, dort zu predigen. Und er war absolut machtlos dagegen. Die Kathedrale, das Zentrum englischer Macht, hatte sich seitdem nicht mehr verändert. Er hätte diesen Ort gern gemieden, aber für einen Mann in seiner Position war es unmöglich, nicht mehr dort hinzugehen. Also ging er gedemütigt weiterhin dort zur Kirche, aber mit genauso viel Widerwillen wie die Katholiken Jahre zuvor. Die Veränderungen in Christ Church waren von einer Toleranz gegenüber Katholiken begleitet worden, für die noch nicht einmal die Aussicht auf eine neue protestantische Plantation in Connacht entschädigte. Simeon Pincher fühlte sich, als müsse er mit ansehen, wie alles, wofür er gearbeitet hatte, zerstört wurde.
    Er dachte sogar daran, Irland zu verlassen und wieder nach England zurückzukehren. Aber das hätte bedeutet, den Posten am College aufzugeben. Denn dort war er trotz aller Veränderungen immer noch ein wichtiger Mann. Und in England würde ihn niemand willkommen heißen. Seine Schwester hatte ihm nie wieder geschrieben. Im Laufe der letzten zehn Jahre hatte er ihr noch zweimal einen Brief geschickt, aber nie eine Antwort erhalten.
    Er hatte sogar diskrete Nachforschungen angestellt, ob sie vielleicht gestorben oder umgezogen sei. Aber er erfuhr nur, dass sie immer noch am selben Ort lebte und sich ausgezeichneter Gesundheit erfreute. Von Barnaby hatte er noch nie etwas gehört. Leider gab es keinen anderen Erben, dem er seinen Besitz überlassen könnte. Wenn er Trinity eine große Summe vermachte, würde das seinen Namen vielleicht unsterblich machen. Aber sogar dieser Gedanke bedeutete, dass er in Familiendingen versagt hatte.
    Heute Morgen beim Gottesdienst war ihm mit erschreckender Klarheit bewusst geworden, dass er alt und einsam war. Deswegen war er für Mrs Tidys Besuch insgeheim sehr dankbar. Es hatte Zeiten gegeben, in denen er von Jeremiah Tidy ein wenig enttäuscht gewesen war. Aber er wusste, dass er dazu eigentlich keinen Grund hatte. Wenn er den Küster und Kirchendiener traf, dann sagte dieser immer kopfschüttelnd zu ihm: »Ach, Euer Ehren. Christ Church ist wirklich nicht mehr das, was es einmal war.« Aber für Pincher klang diese Klage irgendwie unaufrichtig, ob dies nun begründet war oder nicht. Die treue Mrs Tidy war jedoch über jeden

Weitere Kostenlose Bücher