Die Rebellen von Irland
traurig mit der Zunge untersuchte, und die ihn an seine Sterblichkeit erinnerte.
Aber dieses kleine Memento Mori verstärkte nur das allgemeine Gefühl des Versagens, das sein Leben seit zehn Jahren überschattete. Er hatte sich nie vollständig von seiner Zeit im Gefängnis erholt.
Es war wirklich seltsam gewesen. Er hatte nie genau herausgefunden, was eigentlich schief gelaufen war. In den ersten, aufregenden Monaten nach seiner großartigen Predigt war er eine Berühmtheit gewesen. Wichtige Männer – mächtige Großgrundbesitzer, ja sogar der frisch gebackene Earl of Cork, sein Gönner Boyle – hatten ihm geschrieben oder ihn aufgesucht und ihm ihre Unterstützung zugesichert. »Einmal musste es gesagt werden«, hatten alle bewundernd erklärt.
Aber dann war das Unfassbare geschehen, kurz nachdem die Delegation aus England zurückgekehrt war.
Soldaten waren ins Trinity College marschiert, hatten seine Vorlesung unterbrochen und ihn vor all seinen Studenten verhaftet.
Bevor er wusste, wie ihm geschah, wurde er Männern aus der Dubliner Burg vorgeführt, Männern, die er kannte. Sie sahen ihn mit grimmiger Miene an.
»Aufwiegelung, Doktor Pincher«, erklärten sie. »Vielleicht sogar Hochverrat. Sie haben die Königin beleidigt.«
»Wie bitte? Ja, wann denn?«
»Bei Ihrer Predigt in der Christ-Church-Kathedrale. Sie nannten sie eine Hure und Isebel.«
»Aber das stimmt nicht.«
»Der König ist da anderer Meinung.«
Das Ganze war absurd, aber er konnte nichts dagegen unternehmen. Er bekam keine Verhandlung, keine Chance, sich zu verteidigen. Pincher wurde sofort ins Gefängnis geworfen, und dort würde er so lange bleiben wie es dem König gefiel. Es hatte sogar Hinweise gegeben, dass ihn noch Schlimmeres erwartete. Voller Todesangst vegetierte er in seiner kleinen Zelle vor sich hin. Und er musste auch noch eine weitere unangenehme Entdeckung machen. Die Menschen, die er für seine Freunde gehalten hatte, ließen ihn im Stich. Die Regierungsbeamten, seine Bewunderer aus der Gemeinde und seine Kollegen vom College besuchten ihn nicht ein einziges Mal. Keiner sprach ein Wort zu seinen Gunsten. Er war ein in Ungnade gefallener Mann, es war gefährlich, mit ihm in Verbindung zu stehen. Nur zwei Menschen gaben ihm noch Hoffnung.
Die erste war Mrs Tidy, die ihn jeden Tag besuchte. Sie brachte ihm Brühe und Kuchen, ein wenig Bier oder Wein. Wie ein gütiger Engel stand sie ihm treu zur Seite und verlangte dafür nichts. Aber er bezahlte sie natürlich. Pincher erwartete auch einen Besuch von Tidy, aber der blieb dem Gefängnis fern. Egal. Sie genügte ihm. Er gestand sich ein, dass er ohne sie wahrscheinlich verzweifelt wäre.
Der andere war Boyle. Ohne den neuen Earl of Cork wäre er wahrscheinlich bis in alle Ewigkeit in seiner Zelle versauert. Aber durch Gottes Gnade war der mächtige Großgrundbesitzer im Jahre 1629 Lord-Oberrichter geworden, und noch an Weihnachten desselben Jahres hatte Boyle angeordnet, dass Pincher freigelassen wurde. Um den Doktor zu trösten, hatte sein Gönner ihm Land im südlichen Leinster besorgt, auf dem zu Pinchers Freude dichte Wälder wuchsen, die er abholzen lassen konnte.
Also nahm er sein altes Leben wieder auf. Seine puritanischen Freunde hatten ihn zwar kein einziges Mal im Gefängnis besucht, behandelten ihn nach seiner Freilassung aber wie einen Helden. War er denn nicht für seinen Glauben ins Gefängnis gegangen? Seine Studenten applaudierten ihm, als er zu seiner ersten Vorlesung antrat. Wie jeder prominente Mann schmeckte auch er nun die bittersüße, oberflächliche Zuneigung seines Publikums. Und er lernte, für dieses Geschenk dankbar zu sein.
Nur eines gab ihm weiterhin Rätsel auf: Wie war es überhaupt zu jenen Anschuldigungen gekommen? Er fragte sich, ob einer der katholischen Abgesandten vielleicht am Londoner Hof geredet hatte. Er fragte sogar einmal Doyle danach.
»Wenn das der Fall war«, antwortete Doyle, »dann weiß ich davon nichts.«
Das Ganze blieb mysteriös.
Auch Pinchers Hoffnungen für die puritanische Sache hatten sich zerschlagen. Nachdem er aus dem Gefängnis entlassen wurde, griff man wieder härter gegen die Katholiken durch. Aber als drei Jahre später König Karls I. neuer Gouverneur auf die Insel kam, hatten sich alle Hoffnungen auf Besserung für Pincher zerschlagen.
Wentworth. Wie einen Fluch murmelte er den Namen vor sich hin. Nie würde er den schrecklichen Sonntag kurz nach der Ankunft des neuen Lord Deputy vergessen. Er
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