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Die Rebellin

Die Rebellin

Titel: Die Rebellin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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schaffen. Und er lag noch mit seinen gebrochenen Knochen am Boden, da haben sie schon einen neuen Mann die Leiter hochgejagt. Sie behandeln uns wie Vieh, und es wird Zeit, dass wir uns wehren!«
    »Und wie soll das gehen? Die sind am längeren Hebel! Das war schon immer so und wird sich niemals ändern.«
    »Nein, das sind sie nicht!
Wir
sind am längeren Hebel. Sie sind viel mehr auf uns angewiesen als wir auf sie!«
    Ein paar Arbeiter lachten laut auf, andere tippten sich gegen die Stirn.
    »Blödsinn!«
    »Klugscheißer!«
    Victor hob die Hand. »Doch, Leute! Glaubt mir, sie sind unter Druck! Sie suchen Arbeiter im ganzen Land, weil sie hier nicht mehr genug finden, das habe ich selbst in der Zeitung gelesen. Und das ist nicht der einzige Grund, warum sie die Hosen voll haben. Es gibt noch etwas, womit wir sie packen können! Etwas, das vielleicht noch wichtiger ist als die Arbeit selbst.«
    »Und was soll das sein?«
    Victor zögerte keinen Augenblick. »Die Zeit!«
    Höhnisches Gelächter schlug ihm als Antwort entgegen.
    »Die Zeit?«
    »Wer ist denn das?«
    »Ein neuer Kollege?«
    »So einen Quatsch habe ich schon lange nicht mehr gehört!«
    Victor wartete ab, bis die Zwischenrufer verstummten und alle Blicke auf ihn gerichtet waren. »Ja, ihr habt richtig gehört«, rief er dann, »die Zeit! Sie ist auf unserer Seite, genau wie ein Kollege, ja mehr noch – sie ist unser Verbündeter, unser wichtigster Verbündeter überhaupt, und wird uns in unserem Kampf helfen.« Er machte eine Pause, und als er sah, dass die Männer neugierig wurden, fuhr er mit leiserer Stimme fort: »Habt ihr euch mal gefragt, warum sie es so verdammt eilig haben mit ihrem Bau? Ich kann euch den Grund sagen. Weil dieser Bau ihr neuer Tempel ist. Sie nennen ihn einen Palast des Fortschritts, ein Haus des Lebens, und sie können es gar nicht abwarten, vor der ganzen Welt damit zu protzen! Am ersten Mai wollen sie ihn eröffnen, und wenn sie das nicht schaffen, wird die Welt sie nicht bewundern, sondern auslachen. Nicht nur Mr. Paxton und die Firma Fox & Henderson, auch Prinz Albert und die Königin! Ihrhabt ja keine Ahnung, wie die hohen Herrschaften zittern! Sie haben ihr ganzes Geld in dem Unternehmen stecken, ihr Geld und ihre Ehre! Das ist unsere Chance!«
    »Du glaubst, die haben wirklich Angst?«, fragte Plummer.
    »Und ob!«, rief Victor. »Sie haben die Hosen so gestrichen voll, dass ich es bis hierher rieche!«
    Wieder lachten die Arbeiter, doch diesmal nicht aus Spott oder Hohn, sondern um ihren Beifall auszudrücken. Ein paar klatschten sogar, andere ballten die Fäuste, und ein Glaserlehrling hob einen Stock vom Boden und fuchtelte damit drohend in Richtung des Kristallpalasts, mit einer solchen Wut und Begeisterung, als wolle er das Gebäude auf der Stelle erstürmen. Victor schaute zu Plummer hinüber. Der alte Vorarbeiter blickte zu Boden, die Pfeife in seiner Hand war erloschen.
    »Die Strolche! Die Schurken!«, rief Victor. »Sie behaupten, dass sie jeden von uns ersetzen können, aber das ist nicht wahr! Das behaupten sie nur, um uns weiter auszubeuten und auszuquetschen, und wenn wir alle dabei verrecken! Aber sie haben sich geschnitten! Nicht wir brauchen sie, sie brauchen uns! Wir haben sie in der Hand – und das wissen sie! Wir können verhindern, dass ihr verfluchter Tempel fertig wird, und wenn wir das tun, sind sie vor der ganzen Welt blamiert, und der große Mr. Paxton, der Retter der Nation, der Held und Erlöser, ist ruiniert! Wir haben die Macht, wir müssen uns nur einig sein, so einig wie die Maschinenarbeiter bei ihrem Streik in Manchester! Die haben den Fabrikbesitzern so lange eingeheizt, bis die freiwillig den Lohn erhöhten. Wenn wir uns genauso einig sind, dann…« Plötzlich erfüllte ein Brausen die Luft, wie von einem Sturm, und übertönte Victors Stimme. Keiner hörte ihm mehr zu, alle schauten in die Höhe und verrenkten sich die Hälse.
    Victor drehte sich um. Als er sah, was die anderen sahen, traute er seinen Augen nicht. Ein strahlend weißer Ballon, so groß und majestätisch wie die Kuppel von St. Paul’s, erhob sich über den Wipfeln der Bäume und schwebte am Morgenhimmel.

7
     
    »Da! Da ist er! Ich kann ihn sehen!«
    Hardys Stimme schnappte vor Aufregung fast über, während Cole seiner Frau behutsam aus dem Bett half. Sein ältester Sohn war auf einen Stuhl geklettert und zeigte aus dem Fenster, wo zwischen zwei Dächern der Vorderhausreihe der Fesselballon am Himmel stand.
    »Wir

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