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Die Rebellin

Die Rebellin

Titel: Die Rebellin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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ganz England und konnte auf alle ihre Fragen Antwort geben. Während er fortwährend die Enden seines Schnauzbartes zwirbelte, erklärte er ihr die Konstruktion des Ballons, die Aufhängung der Kanzel, die Funktionsweise des Ventils, mit dem man über eine Leine das Gas in der Hülle regulierte. Obwohl Emily die physikalischenGesetze, auf denen der Mechanismus beruhte, durchaus begriff, konnte sie sich trotzdem kaum vorstellen, mit dieser Maschine gleich in den Himmel aufzusteigen.
    »Und Ihr Luftschiff kann wirklich drei erwachsene Personen tragen?«
    »Ohne Probleme. Mit meinem anderen Schiff habe ich sogar schon ein Dutzend Personen befördert, es kommt nur auf die Größe des Ballons an – eine rein mathematische Formel. Die Steigkraft ist gleich der verdrängten Luftmasse, vermindert um das Gewicht des Ballons und des Füllgases, wobei sich natürlich beide Gewichte und folglich auch die Steigkraft je nach Temperatur und Luftdruck verändern.«
    Mr. Green sprach mit Absicht so laut, dass ihn auch die vielen Schaulustigen hören konnten, die sein abenteuerliches Gefährt umstanden, vornehm gekleidete Morgenspaziergänger genauso wie Arbeiter in schmutzigen Anzügen, die auf ihrem Weg zur Baustelle im Hyde Park stehen geblieben waren. Mit offenen Mündern hörten sie seinen Erklärungen zu und bestaunten den Ballon, der bereits über den Wipfeln der Bäume schwebte und nur noch von ein paar wenigen Seilen am Boden gehalten wurde. Die vielen neidischen Blicke erfüllten Emily mit solchem Stolz, dass ihr Herz schneller schlug. Das alles hatte Cole nur für sie arrangiert! Sie konnte kaum erwarten, dass er endlich kam, damit sie zusammen das Wunder erlebten.
    »Und wann wissen Ihre Gehilfen, dass sie die Halteseile lösen sollen?«
    »Dafür gibt es ein einfaches Signal: Wenn der Ballonführer das grüne Fähnchen hebt.« Mr. Green schaute auf seine Taschenuhr.
    »Aber vielleicht sollten wir schon einmal in unserer Lufthütte Platz nehmen.«
    Er reichte Emily die Hand und half ihr auf die Leiter, die an der Kanzel lehnte. Mit einem Satz sprang sie in die Gondel.
    »Meinen Sie dieses Fähnchen hier?«, fragte sie, während Mr. Green auf die Leiter kletterte, um ihr zu folgen.
    Sie hatte noch nicht ausgesprochen, da entdeckte sie plötzlich in der Menge Victors Gesicht. Ihr Herz begann noch heftiger zu pochen. Ob er auch
sie
gesehen hatte? Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und winkte ihm zu, das grüne Fähnchen in der Hand.
    »Um Gottes willen, nein!«
    Im selben Moment machte die Gondel einen Ruck, Mr. Green stürzte mit der Leiter zu Boden, und der Ballon begann zu steigen.
    »Aaaaaah! Oohhhhhh!«
    Während die Zuschauer Beifall klatschten, riss Emily an den Leinen, die vom Ballon in die Kanzel hingen, um den Aufstieg zu bremsen, doch nichts geschah. Unbeirrt nahm das Luftschiff Fahrt auf.
    »Emily!«
    Ein Schatten löste sich aus der Menge.
    »Victor! Hilfe!«
    Mit großen Sätzen schnellte er vor, warf sich auf den Korb und klammerte sich an die Reling, um den Ballon am Boden zu halten, aber die natürlichen Steigkräfte waren stärker als er.
    »Deine Hand! Hilf mir!«
    Schon schwebten sie über die ersten Baumwipfel hinweg. Victor hing an der Kanzel wie eine Fahne, die Beine in der Luft. Um Gottes willen! Emily streckte die Arme nach ihm aus. Er packte ihre Hand, ein scharfer Schmerz zuckte durch ihre Gelenke, sodass sie ihn fast wieder losgelassen hätte. Wie ein kenterndes Boot schaukelte die Gondel und drohte umzukippen, während Victor verzweifelt versuchte, ein Bein über den Rand zu schwingen. Dann wieder ein Schmerz, als würde er ihr den Arm ausreißen, und auf einmal stand er neben ihr.
    Vorsichtig schaute Emily in die Tiefe hinab, wo die Welt unter ihren Füßen entschwand. Sie konnte gerade noch Henry Cole erkennen, der in einer offenen Droschke auf den Startplatz raste, wo die Menschen, die eben noch um den Korb herumgestanden hatten, mit jeder Sekunde zu schrumpfen schienen, Hundertezum Himmel gerichtete Gesichter, die immer winziger wurden, zwischen einem Wald emporgereckter Arme und Hände.
    Als sie sich umdrehte, sah sie den Kristallpalast.
    »Um Gottes willen! Wir stoßen zusammen!«
    Schneller und schneller wuchs das Gebäude aus dem Erdboden empor, der Gondel entgegen, eine bedrohliche Gebirgswand aus Glas und Stahl.
    »Die Säcke!«, schrie Victor. »Weg damit!«
    Erst jetzt sah Emily die prall gefüllten Beutel, die außen an der Kanzel hingen. Das mussten die Ballastsäcke sein! Victor

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