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Die Rebellin

Die Rebellin

Titel: Die Rebellin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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ein Idiot gewesen, gegenRobert zu wetten. Aber wie hätte er ahnen sollen, dass Robert der verdammten Ratte die Kehle durchbiss? Kein Mensch tat so was. Toby bereute, dass er überhaupt mit dem Gesellen fortgegangen war. Fast immer, wenn er das tat, lief irgendetwas schief. Und schlechter als heute konnte es gar nicht laufen.
    Ein Schilling Schulden! Ausgerechnet bei Robert! Wenn Victor das erfuhr, würde er ihn totschlagen – so wütend, wie er manchmal werden konnte. Seit sie beschlossen hatten, zusammen nach O’Connorville zu ziehen, zahlten sie jeden Penny, den sie übrig hatten, bei den Chartisten ein. In spätestens zwei Jahren würden sie die hundert Pfund beisammen haben. Falls Victor wirklich Recht hatte, musste O’Connorville ein Paradies sein, noch herrlicher und prächtiger als der Großmarkt in Billingsgate, wo die meisten Bratfischbuden von London standen und ihren Duft verströmten. In O’Connorville würde Toby eine eigene Bude aufmachen, mit dem leckersten Bratfisch von ganz England. Die Leute dort arbeiteten auf eigene Rechnung und hatten jede Menge Geld, weil sie von Feargus O’Connor regiert wurden, dem klügsten und gerechtesten Mann der Welt, der genauso rotes Haar hatte wie Toby und wie er aus Irland stammte. Außerdem, behauptete Victor, wurde dort oben im Norden viel besserer Fisch gefangen als in der Themse und im Kanal. Bei der Vorstellung, wie so ein Fisch auf seinem eigenen Bratrost brutzelte, lief Toby das Wasser im Munde zusammen.
    Plötzlich sah er wieder Robert vor sich, wie er der Ratte die Kehle durchbiss und sich das Blut von den Lippen wischte. Was würde er sich noch alles einfallen lassen? Toby fürchtete, dass der Putzdienst nur die erste Rate auf die Rückzahlung seiner Schulden war. Solange er bei Robert mit einem Schilling in der Kreide stand, hatte der Geselle ihn in der Hand. Er hoffte nur, dass Victor noch nicht wieder zurück in der Werkstatt war. Wenn Victor sah, dass er an Roberts Stelle die Presse putzte, würde er sofort wissen, dass etwas faul war. Die zwei Gesellen konnten sich auf den Tod nicht ausstehen und stritten sich um ihn wie ein Pfarrerund der Teufel um eine Seele. Die Backe brannte ihm immer noch von Victors Ohrfeige.
    Fast sehnte Toby sich in jene Zeit zurück, als er in einem Kornspeicher am Hafen gehaust hatte, zusammen mit einem Dutzend anderer Jungs, die wie er selbst aus dem Waisenhaus ausgerissen waren. Sie hatten von dem gelebt, was sie mit Taschendiebstählen und kleinen Betrügereien verdienten. Von morgens bis abends waren sie auf der Flucht gewesen, vor den Konstablern und vor wütenden Ladenbesitzern, aber niemand war auf die Idee gekommen, ihnen Vorschriften zu machen, so wie Victor und Robert es jetzt taten. Die Jungs waren seine Familie gewesen. Von seiner wirklichen Familie wusste Toby nur, dass seine Mutter ihn vor vierzehn oder fünfzehn Jahren in einem Korb auf den Stufen von St. Paul’s abgesetzt hatte. Der Küster der Kathedrale hatte ihn dort gefunden.
    »Ist das hier die Druckerei von Mr. Finch?«
    Toby schrak aus seinen Gedanken auf. Vor der Werkstatt stand eine fremde junge Lady, ein Wesen in hellen, sauberen, sündhaft teuren Kleidern, mit einem Hut auf dem Kopf und einem Schirm in der Hand, wie aus einer anderen Welt. Ungläubig kratzte er sich am Kopf. War das eine von den Erscheinungen, die in den Liedern der Negersänger von Clare Market vorkamen? Auf natürliche Weise konnte sich eine solche Frau jedenfalls nicht hierher verirren. Nachdem er sich vom ersten Schock erholt hatte, regten sich in ihm die alten Instinkte. Mit sicherem Blick taxierte er die junge Lady auf ein halbes Dutzend Batisttaschentücher.
    »Was wünschen Sie?«, fragte er.
    »Ich habe einen Druckauftrag. Mr. Benson, der Buchbinder aus der Fleet Street, hat mir die Werkstatt von Mr. Finch empfohlen.«
    »Ich glaube, da haben Sie Pech. Mr. Finch ist gerade nicht da, Miss.«
    »Und wann kommt er wieder?«
    Toby zuckte die Schultern. Die fremde Lady zögerte, offenbar unschlüssig, was sie tun sollte.
    »Nun, dann frage ich vielleicht morgen noch einmal nach.«
    Sie wandte sich ab. Toby überlegte, wie er sie aufhalten konnte. Ein solches Wesen einfach davongehen zu lassen, käme einer Sünde gleich. Genauso gut könnte er ein herrenloses Portemonnaie auf der Straße liegen lassen, ohne sich danach zu bücken.
    »Warten Sie!«, sagte er und tastete nach der Schachtel mit den Kreidestückchen, die ein Schneiderlehrling für ihn sammelte. Gott sei Dank,

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