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Die Rebellin

Die Rebellin

Titel: Die Rebellin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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die Ohrringe die Harmonie der Komposition ein wenig stören?«
    Die spöttische Bemerkung verschlug ihr für einen Moment die Sprache. Was für ein frecher Kerl! Aber konnte man charmanter auf ihre Verunstaltung reagieren? Sie wollte etwas erwidern, doch da wurde er auf einmal ernst. Emily befürchtete schon eine der Höflichkeitsfloskeln, mit denen die anderen Kandidaten ihrer Mutter sie stets langweilten, doch Cole überraschte sie ein weiteres Mal. Statt sie nach den Fortschritten ihrer Näharbeiten, dem Besuch von Bällen oder ihren Lieblingsstücken der letzten Theatersaison zu fragen, erkundigte er sich nach ihren Träumen.
    »Finden Sie das nicht ein wenig indiskret?«, fragte sie und spürte, wie sie rot wurde.
    »Nein, nein«, antwortete er mit einem Lächeln, das gar nicht spöttisch, sondern einfach nur sympathisch war. »Nicht, was Siebei Nacht, sondern was Sie bei Tage träumen, würde ich gerne wissen. Nur darauf kommt es an.«
    Emily entspannte sich. Wenn es das war, wonach er fragte – darauf konnte sie ihm Antwort geben. Und während er den Kopf zur Seite legte, um ihr aufmerksam zuzuhören, erzählte sie, was sie wirklich interessierte: die neuen Theorien der Naturwissenschaften, die Erkenntnisse der Tierund Pflanzenkunde, mit deren Studium sie sich seit ihrer Kindheit beschäftigte, vor allem aber die revolutionären Berichte von Forschungsreisen in die entlegensten Gegenden der Erde, die alle bisherigen Ansichten über Entstehung und Entwicklung der Arten über den Haufen warfen. Dabei genoss sie klammheimlich die Tatsache, dass ihre Mutter die ganze Zeit zuhören musste, ohne wie sonst das Gespräch an sich zu reißen.
    »Haben Sie Darwins
Reise um die Welt
gelesen?«, fragte Emily. »Das Buch hat mir regelrecht die Augen geöffnet.«
    »Eine gefährliche Lektüre«, erwiderte Cole. »Der Autor stellt die Bibel in Frage. Wenn man ihm glauben darf, hat es das Paradies nie gegeben.«
    »Ich habe Darwins Theorie ganz anders verstanden.«
    »Nämlich?«
    »Dass wir Menschen die Aufgabe haben, uns das Paradies selbst zu erschaffen. Indem wir die Gesetze der Schöpfung ergründen, unser eigenes Handeln auf diese Gesetze abstimmen und sie schließlich durch unsere Mitwirkung zur Vollendung bringen.«
    Cole blickte sie voller Respekt an. »Dann spüren Sie also, wenn ich Sie richtig verstehe, dem Geheimnis des Lebens nach?«
    Emily wusste nicht, was sie mehr an diesem Mann beeindruckte – sein Scharfsinn oder sein Einfühlungsvermögen.
    »Ja«, nickte Cole. »Träume geben dem Leben Richtung und Sinn. Ohne Träume wäre alles nur Stumpfsinn und Plackerei.« Der Tee wurde in einem Service gereicht, das Emily noch nie im Haus gesehen hatte. Es war aus schlichtem weißem Porzellan, von harmonischen Formen, die ganz auf die Funktion der einzelnenTeile ausgerichtet waren, ohne überflüssige Schnörkel oder Zierrat. Wo hatte sie es schon einmal gesehen? In einem Kaufhaus in der Regent Street?
    »Ein Geschenk von Mr. Cole«, erklärte Sarah, froh über die Gelegenheit, wieder das Wort ergreifen zu können. »Er hat das Service selbst entworfen und dafür eine Preismünze der Society of Arts bekommen.«
    »Jetzt weiß ich, woher ich es kenne«, rief Emily. »Ich habe es in der Ausstellung gesehen. Aber der Mann, von dem es stammt, hieß der Cole? Zumindest hieß er nicht Henry mit Vornamen, sondern Felix, daran erinnere ich mich genau. Felix … Felix …«
    »Summerly«, ergänzte Cole. »Ein Pseudonym, Miss Paxton.«
    »Warum das denn?«, fragte Emily überrascht. »Ist Ihr eigener Name Ihnen nicht gut genug? Ein falscher Name, das … das ist doch fast wie eine Lüge.«
    »Unsinn«, erwiderte ihre Mutter an Coles Stelle. »Das machen alle großen Künstler so. Michelangelo hieß in Wirklichkeit ja auch Buonarotti, nicht wahr?«, fügte sie mit einem verschwörerischen Augenzwinkern in Richtung ihres Gastes hinzu.
    Emily beschloss, die Frage nicht weiter zu verfolgen. Sie war viel zu neugierig auf den Mann selbst, egal wie er sich nannte. »Und Ihr Traum, Mr. Cole, ist es also, eine Weltausstellung zu organisieren?«
    »Allerdings«, erwiderte er, sehr sicher und selbstbewusst.
    »Aber haben Sie keine Angst vor einem so großen Traum?«
    »Wissen Sie, ein Träumer ist ein Mensch, der seinen Weg nur bei Mondlicht findet, und dass er den neuen Tag vor der übrigen Welt dämmern sieht, ist sein Lohn. Oder seine Strafe, je nachdem, von welchem Standpunkt aus man die Sache betrachtet.«
    »Sie meinen, Sie haben

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