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Die Rebellin

Die Rebellin

Titel: Die Rebellin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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sich nicht nur Freunde mit Ihrer Idee gemacht?«, wollte Paxton wissen.
    »Das kann man wohl sagen. Doch ich will mich nicht beklagen. Freundschaft ist manchmal nur der erste Schritt zur Feindschaft.«
    Emily musste lachen. Was für eine witzige und charmante Art hatte dieser Mann, die Dinge zu betrachten. »Und«, fragte sie, »waren Sie schon immer so ein Mondsüchtiger?«
    »Ja«, nickte er, »ich fürchte, ich bin mit dieser Krankheit auf die Welt gekommen.«
    Sie wollte mehr über ihn wissen, erkundigte sich nach seiner Vergangenheit, nach seiner Familie. Doch seltsam, auf alle Fragen, die sein persönliches Leben betrafen, reagierte er zögernd, ausweichend, beinahe unhöflich, als habe er Angst, etwas von sich und seinen Verhältnissen preiszugeben. Ob es vielleicht daran lag, dass er sich seiner Herkunft schämte? Ihre Mutter hatte erzählt, dass Cole aus einer einfachen Beamtenfamilie stammte. Aber dafür brauchte er sich doch nicht zu schämen, nicht in diesem Haus – ihr Vater war der Sohn eines Bauern, der nicht mal eigenes Land besessen hatte! Zugleich fiel Emily auf, dass Cole, obwohl er dauernd Witze machte, manchmal so traurig schauen konnte, als hätte er gerade eine schlimme Nachricht erhalten. Fast schien es, als wolle er mit seinen Bonmots etwas verbergen, ein Leid oder Unglück, das niemand entdecken durfte, so wie die Katholiken an Karfreitag in der Kirche den Gekreuzigten mit kostbaren Tüchern verhüllten. Aber das machte ihn in ihren Augen nur umso interessanter. Dieser Mann, daran hatte sie keinen Zweifel, war nicht nur der charmante, geistreiche Plauderer, als der er sich gab – er hatte ein Geheimnis. Doch welches?
    »Verzeihen Sie die Neugier meiner Tochter«, sagte Sarah. »Ich glaube, sie möchte einfach nur wissen, wie Sie auf eine so wunderbare Idee gekommen sind?«
    Emily war ihrer Mutter ausnahmsweise dankbar, dass sie sich in das Gespräch einmischte.
    »Genau genommen erst im Frühsommer dieses Jahres, Madam, auf der Nationalausstellung in Paris. Da wurde mir klar, dass Güterausstellungen einzelner Nationen nur eine Vorstufe zu einer größeren Art von Veranstaltung sein können. Der Augenblick, in dem ich das erkannte, war für mich wie eine Wiedergeburt.«
    Sarah runzelte die Stirn. »Daran glauben doch nur die Inder.«
    »Wer weiß, vielleicht ist ja etwas daran?«, erwiderte Cole. »Früher hatte ich den Kopf voller Ideen, aber ich hatte kein Ziel. Das waren alles nur gute Vorsätze – Schecks sozusagen, die ich auf eine Bank zog, bei der ich gar kein Konto hatte. Aber als ich begriff, dass die Weltausstellung dieses Ziel war, wonach ich immer gesucht hatte, war es wie eine Fügung. Alles, was ich je in meinem Leben getan und gelernt hatte, schien plötzlich von Anfang an auf dieses eine Ziel ausgerichtet gewesen zu sein, noch bevor ich es selber ahnte. Plötzlich hatte ich nicht nur ein Konto, ich besaß eine ganze Bank.«
    Fasziniert hörte Emily ihm zu. Während Cole voller Begeisterung von seinem Lebenstraum sprach, schien er förmlich auf seinem Stuhl zu wachsen.
    »Die Leute«, sagte er, »behaupten immer, es gebe heute keine Wunder mehr. Dabei leben wir in einer so wunderbaren Zeit. Dampfmaschinen ersetzen die Muskelkraft und erlösen die Menschen vom Fluch der Arbeit, mechanische Webstühle produzieren feinste und haltbarste Stoffe, Eisenbahnen rasen durchs Land und lassen die Entfernungen schrumpfen, Telegrafen übermitteln Nachrichten an fast jeden Fleck der Erde, und der Tag ist nicht fern, da fahren wir in motorisierten Kutschen im Hyde Park spazieren. Sagen Sie selbst: Hat es seit der Erschaffung der Welt je eine Zeit gegeben, die mehr Wunder hervorgebracht hat als die unsrige?«
    Je länger Cole redete, desto deutlicher wurde Emily, dass dieser Mann einen Traum träumte, den vor ihm noch kein Mann zu träumen gewagt hatte. Er wollte der Menschheit zeigen, zu welchem Fortschritt sie fähig war, indem er die ganze Welt an einem Ort versammelte, alle Erzeugnisse menschlicher Phantasie und Schaffenskraft, der Naturwissenschaft und Technik zusammenführte, in einer einzigen Ausstellung. Was für ein kühner Gedanke! Doch etwas anderes faszinierte Emily noch mehr, eine unbestimmte geistige Entsprechung, ja eine Art Seelenverwandtschaft,die sie mit diesem fremden Mann verband. Es war, als würde sein Traum sich mit ihrem eigenen Traum vermählen: Während sie dem Geheimnis des Lebens im Reich der Tiere und Pflanzen nachspürte, war sein großer Plan der Versuch,

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