Die Rebellin
zerstreuen, dirigierte er die Arbeiten an dem Aquädukt, der im Park von Chatsworth seit Ostern entstand. Als hätte ein Zyklop die Felsbrocken aufeinander gewuchtet, ragten die sieben Bögen des Bauwerks, an dem Hunderte von Arbeitern beschäftigt waren, zwischen den Laubkronen uralter Bäume in den Sommerhimmel empor. Aus der Höhe von achtzig Fuß sollten sich hier bald die Fluten eines künstlichen Sees in den Park ergießen. Der Herzog und Paxton erhofften sich von dieser neuen Attraktion,dass in Zukunft noch mehr Touristen nach Chatsworth kommen würden, um gegen Eintritt die Gärten zu bestaunen. Doch Sarah, die sonst die Arbeiten mit ebenso großer Aufmerksamkeit inspizierte wie er selbst, hatte heute nur ihre Tochter im Sinn.
»Ich habe einfach ein ungutes Gefühl«, sagte sie. »Vielleicht sind es Mutterinstinkte. Auf jeden Fall dürfen wir nicht zulassen, dass Emily sich allein in London rumtreibt. Wer weiß, was sie dort alles anstellt? Am Ende fängt sie noch das Rauchen an.«
»Mach dir keine unnötigen Sorgen«, erwiderte Paxton. » Emily ist ein vernünftiges Mädchen. Schließlich haben wir sie selbst erzogen. Sie weiß, was sie tut.«
»Bist du dir da so sicher?«
»So sicher, wie dass Emily Steckrüben hasst.«
»Sie ist schon über zwanzig, Joseph. Wenn sie nicht bald heiratet, wird kein Mann sie mehr wollen. Das Mädchen muss aus dem Haus.«
»Hat das nicht noch ein bisschen Zeit, meine Liebe?«, fragte er. »Ich brauche dringend Emilys Hilfe. Du weißt doch selbst, wie sehr mir die Arbeit über den Kopf wächst.«
»Wir sind über zwanzig Jahre ohne ihre Hilfe ausgekommen, warum nicht auch in Zukunft?« Sarah lächelte ihn zärtlich an, während sie mit der Linken nach seiner Hand griff und die Rechte auf seinen Handrücken legte, wie um Besitz von ihm zu ergreifen. Obwohl er die Geste nicht mochte, überließ er ihr die Hand.
»Ach Joseph«, sagte sie, »verzeih mir, aber ich kann mich einfach nicht daran gewöhnen, dass jetzt alles anders sein soll. Für mich ist es immer noch wie damals. Bei jedem Rührei, das ich für dich mache, sehe ich dich vor mir, wie beim allerersten Mal.«
Paxton zwang sich, ihr Lächeln zu erwidern. Natürlich wusste er, woran sie dachte: an jenen Maimorgen im Jahr 1823, als er nach Chatsworth gekommen war, um beim Herzog von Devonshire seinen Dienst als Gärtner anzutreten. Nach einer endlosen Nacht in einer holpernden Kutsche war er im Morgengraueneingetroffen, und nachdem er über das Hoftor geklettert war, hatte er im Küchentrakt des Schlosses angeklopft, in der Hoffnung auf ein Frühstück. Die Wirtschafterin, eine große knochige Frau, hatte gerade ihre Nichte zu Gast – Sarah. Sie hatte ihn mit ihrer stolzen Haltung und dem herrlichen braunen Haar so sehr beeindruckt, dass er sich in seiner Kordjacke wie ein Bettler gefühlt hatte und nicht wusste, ob er das Rüherei, das sie ihm vorsetzte, mit Messer und Gabel oder mit einem Löffel essen sollte. Er hatte erwartet, dass sie ihn auslachen würde. Doch statt dessen hatte sie ihn nur einmal mit ihren hellen, intelligenten Augen angeblickt und ihm gesagt, er solle einfach so essen, wie er es gewohnt sei, er würde es schon richtig machen. Noch bevor er zu Ende gefrühstückt hatte, hatte er gewusst, dass sie die Frau seines Lebens war.
»Joseph, wo bist du?«
Paxton hatte gar nicht gemerkt, dass er die ganze Zeit schon Lizzy nachschaute, der hübschen blonden Zofe aus dem Schloss, die gerade mit einem Korb voller Wäsche in die Richtung der Bleichwiese verschwand. Obwohl es ihm schwer fiel, wandte er seinen Blick von dem aufreizend hüpfenden Popo ab und drehte sich zu seiner Frau herum.
»Habe ich dir heute eigentlich schon gesagt«, fragte er Sarah mit einem Anflug von schlechtem Gewissen, »dass ich dich liebe?«
»Ja, mein Liebster, noch vor dem Aufstehen«, erwiderte sie mit leichtem Erröten. »Wenn du das nicht mehr weißt, habe ich allen Grund, dir böse zu sein.«
Statt einer Antwort reichte er ihr seinen Arm. Gott sei Dank war Sarah immer noch so schön wie vor zwanzig Jahren, sodass er seine ehelichen Pflichten kaum weniger genoss als seine kleinen Eskapaden. Paxton wusste, das war in ihrem Alter keine Selbstverständlichkeit, und er fragte sich manchmal, warum er sich die kleinen Zofen und Theatersoubretten nicht endlich aus dem Kopf schlug. Aber wer wusste, wie lange ihm diese harmlosen Vergnügungen noch beschieden waren? Ein paar Jahre, unddie Natur würde ihn von ganz allein auf
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