Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Rebellin

Die Rebellin

Titel: Die Rebellin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
Vom Netzwerk:
ist … das ist …« – sie suchte nach einem Vergleich – »wie ein Herbarium der Menschheit. Die Leute werden in Scharen dorthin strömen, wenn es erst …«
    »Du willst also sagen«, unterbrach ihr Vater sie, »ich sollte mein sauer verdientes Geld wirklich investieren?«
    »Wenn du mich fragst – ja!« Emily dachte kurz nach, womit sie ihm beweisen konnte, wie überzeugt sie selber von der Idee war. »Ich … ich würde sogar das
Magazine of Botany
dafür verkaufen«, sagte sie, noch ehe sie den Gedanken zu Ende gedacht hatte. Ihr Vater schaute verblüfft zu ihr auf. »Unser
Magazine?
Wirklich?Dazu wärst du bereit? Obwohl dir so viel an der Zeitschrift liegt?«
    »Hast du selbst nicht erst vor kurzem gesagt, der Eisenbahn gehört die Zukunft?«, fragte sie. »Darauf wolltest du dein ganzes Vermögen verwetten. Und da war noch keine Rede von der Weltausstellung.«
    »Trotzdem – das
Magazine
verkaufen? Wäre das nicht Verrat?« Paxton nagte an der Lippe, während er die Asche von seiner Zigarre streifte. Doch seine Augen strahlten. »Herrgott nochmal – es wäre ein fürchterliches Risiko, aber wenn die Rechnung aufgeht, hätten wir mehr Geld, als wir jemals ausgeben können. Unsere Existenz wäre für immer gesichert.«
    »Meinst du das im Ernst, Joseph?«, fragte Sarah ungläubig.
    »Allerdings, meine Liebe«, nickte er. Er streichelte ihre Hand und schaute den Rauchringen nach, die er mit gerundeten Lippen in rhythmischen Abständen ausstieß. »Ja, dieser Henry Cole ist kein übler Bursche, wirklich nicht … Findest du nicht auch, Emily?«
    Als sie den Blick ihres Vaters erwiderte, wurde Emily rot. »Woher soll ich das wissen?«, fragte sie.

12
     
    Victor war schon geraume Zeit wieder in Freiheit, doch er hatte sich immer noch nicht an den brausenden Verkehr gewöhnt, der abends in der Londoner City tobte. Die Betriebsamkeit, die ihm in der Oxford Street entgegenschlug, war Atem beraubend. Man glaubte, auf einen Jahrmarkt zu geraten, der an allen vier Ecken brannte, wo sich alles überschlug und überrollte, wo das Rasseln der Wagen, das Traben der Reiter, das Rufen der Passanten und Schreien der Händler sich zu einem solchen Getöse steigerte,dass niemand mehr sein eigenes Spektakel von dem der anderen unterscheiden konnte. Alles stürzte und rannte und lachte und weinte und brummte und fluchte und betete und boxte sich in ein und derselben Minute vorüber und riss dabei jeden mit sich fort, wie von einer unsichtbaren Hand getrieben, bis auch der Letzte mit im Zuge war und lief, als hinge das Heil des Himmels und der Erde nur von seiner Eile ab.
    Auf der Höhe des British Museum verließ Victor die Hauptstraße und bog in eine Seitengasse ein, um durch das Universitätsviertel zur Euston Station zu gelangen. Hier ebbte der Verkehr ein wenig ab und ging in ein gleichmäßigeres Summen über, auf das bereits die Dämmerung niedersank. Er hatte beschlossen, den Nachtzug zu nehmen. Niemand brauchte zu wissen, dass er diese Reise machte, weder Mr. Finch noch die anderen Gesellen – nicht einmal sein Freund Toby. Das war eine Reise, die nur ihn selbst anging.
    Eine halbe Stunde später konnte er den Bahnhof sehen. Die große Uhr über dem Portal, die bereits ihr milchiges Gaslicht in der Dämmerung verströmte, zeigte auf fünf nach neun. In zwanzig Minuten würde sein Zug den Bahnhof verlassen. Victor beschleunigte seinen Schritt und überquerte den Droschkenplatz, der sich vor dem Hauptgebäude zur Straße hin öffnete. Am Ende des Platzes schaute er sich um, ob ihn jemand beobachtete, dann sprang er über den Zaun, der das Bahnhofsgelände von den Gleisen trennte, um den Schienen ein paar hundert Yards stadtauswärts zu folgen, in Richtung Norden. Er kannte eine Stelle, wo die Gleise über eine kleine Brücke führten – dort hatte er früher mit seiner Mutter Kohlen aufgelesen, die von den Eisenbahnwaggons gefallen waren. Vor der Brücke mussten die Züge ganz langsam fahren, so dass man ohne große Gefahr auf einen Waggon aufspringen konnte. Obwohl er Emilys Angebot, ihm eine Fahrkarte zu schicken, abgelehnt hatte, dachte er nicht daran, für die Reise zu bezahlen. Eine Eisenbahnfahrt bis nach Chatsworth kostete ein Vermögen! Das konnte er sich nicht leisten, erbrauchte sein ganzes Geld für O’Connorville. Nur für den letzten Teil der Reise von Derby bis Rowsley wollte er ein Billet lösen. Damit er in seine alte Heimat nicht zurückkehrte wie ein Dieb.
    Eine Ratte sprang ihm vor die Füße.

Weitere Kostenlose Bücher