Die Rebellin
Neffe George mit seiner in der Mitte gescheitelten Frisur und dem Plastron unter dem weichlichen Kinn fast den Eindruck, als wäre er der intime Freund des Vorzimmersekretärs. Diese ungleichen Männer waren Coles letzte Chance, das nötige Geld für die Verwirklichung seines Traums zu bekommen. Doch das durften sie auf keinen Fall wissen.
»Hatten Sie eine gute Reise?«
Cole beschloss, das Gespräch mit einem kleinen Witz zu eröffnen. »Ich reise für mein Leben gern. Unangenehm ist dabei nur, dass man sich von einem Ort zum andern bewegen muss.«
Statt zu lächeln, blickten die beiden sich mit erhobenen Brauen an.
»Ihre Abneigung gegen das Reisen kann ich verstehen«, sagte James Munday. »Obwohl Sie seit Wochen kreuz und querdurchs Land fahren, sind Ihre Versuche, Subskribenten für Ihr Projekt zu finden, bislang gescheitert. Leugnen ist zwecklos«, fügte er hinzu, als Cole etwas erwidern wollte. »Wir haben uns über Sie und Ihre so genannte Weltausstellung erkundigt. Die Vorbereitungen sind längst nicht so erfolgreich, wie Sie überall herumposaunen.«
»Um es präzise auszudrücken«, ergänzte sein Neffe, »sie sind ein Desaster. Trotz all Ihrer Bemühungen schließt der Fonds zur Zeit, unter Berücksichtigung der Abzüge, mit weniger als fünfundsechzigtausend Pfund ab.«
»Die tausend Pfund der Königin mitgerechnet!«
»Eine Summe, die kaum zur Bestreitung der anfallenden Nebenkosten ausreichen würde. Weder die Unternehmer noch die Politiker sind bereit, sich zu engagieren. Niemand will die Initiative ergreifen. Jeder wartet ab, was der andere tut.«
George Munday machte eine Pause und blickte seinen Onkel an, der sogleich das Wort ergriff, um die Attacke fortzuführen.
»Tut mir sehr Leid für Sie, Mr. Cole, rein menschlich. Wie wir wissen, haben Sie ja sogar einen persönlichen Kredit aufgenommen, um die Werbetrommel zu rühren. Kein Wunder, dass Sie da die Freude am Reisen verloren haben.« Er fixierte ihn mit seinen kleinen Schweinsaugen, dann stellte er die entscheidende Frage: »Worauf gründen Sie in dieser Situation Ihre Hoffnung, dass die Weltausstellung je zustande kommt?«
Cole stand da wie ein Schüler, der beim Mogeln erwischt worden war. Schlechter hätte das Gespräch nicht beginnen können! Die Mundays hatten ja Recht, mit jedem Wort, das sie sagten – sogar dass er sich in Schulden gestürzt hatte, um die Reisekosten zu bestreiten, war die reine, traurige Wahrheit. Eigentlich konnte er jetzt den Raum verlassen und zurück nach London fahren. Doch stattdessen nahm er auf einem freistehenden Sessel Platz, obwohl ihn niemand dazu aufgefordert hatte, schlug die Beine übereinander und zündete sich eine Zigarette an. Er hatte zwar keine Strategie, aber er wollte trotzdem versuchen, es ihnen zu erklären.
»Wirtschaft«, fing er an, »besteht zur Hälfte aus Psychologie. Wichtiger als alle Fakten und Zahlen sind Symbole. Ich setze darum ganz und gar auf die Mitwirkung des Prinzgemahls.«
»Der Prinzgemahl hat lächerliche fünfhundert Pfund gezeichnet. Wenn das ein Symbol sein soll, dann höchstens für eine Absage!«
»Keineswegs«, widersprach Cole. »Es ist ein Geschäft auf Wechselseitigkeit. Als Deutschem ist es Albert noch nicht gelungen, die Herzen der Engländer zu erobern. Er braucht einen großen politischen Erfolg, um endlich Anerkennung in der Bevölkerung zu finden. Umgekehrt kann aber die Weltausstellung nicht fehlschlagen, wenn sich die Königin in Gestalt ihres Ehemannes zu Gunsten der Veranstaltung erklärt.«
Cole lehnte sich zurück, um die Reaktion der Mundays abzuwarten. Er konnte nur hoffen, dass sie die Schweißperlen nicht sahen, die sich auf seiner Stirn gerade bildeten. Seine Zukunft auf den Prinzgemahl zu setzen, war mehr als riskant. Albert zögerte und zauderte stärker denn je, ja er dachte schon laut darüber nach, sich ganz aus dem Projekt zu verabschieden, wenn nicht bald die Finanzierung der Weltausstellung gesichert sei. Erst letzte Woche hatte er seinen hoheitlichen Unmut darüber bekundet, dass Cole seinen Namen auf einer Werbeveranstaltung in Dublin überhaupt erwähnt hatte. Wenn die Mundays ihm ein zweites Mal auf die Schliche kamen, würden sie ihn wie einen Hochstapler davonjagen.
»Mag sein«, sagte schließlich George Munday und rümpfte die Nase. »Doch bislang hat die Königin nichts dergleichen getan.«
»Könnte gut sein, dass sie es bald tun wird«, brummte sein Onkel.
»Wie bitte?«, fragte sein Neffe überrascht. »Du hast
Weitere Kostenlose Bücher