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Die Rebellin

Die Rebellin

Titel: Die Rebellin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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hielten die Sprossen, und nach ein paar Sekunden waren sie in der Baumkrone verschwunden.
    Sie hatten kaum die Hütte erreicht, als sie die Stimmen hörten. Gleich darauf sah Victor durch das Laub die zwei Gesichter, die ihm auf so unheimliche Weise vertraut waren. Mr. Paxton wirkte noch mächtiger und eindrucksvoller als früher, und seine Frau war mit ihren kastanienbraunen Haaren und dem hellen Porzellangesicht immer noch so makellos schön, dass man glauben konnte, ein Puppenmacher hätte sie erschaffen. Doch als er hörte, was die zwei sprachen, traute er seinen Ohren nicht.
    »Ich kann wirklich nicht begreifen«, sagte Joseph Paxton, »weshalb du dich so aufregst, meine Liebe. Deine Eifersucht hat manchmal krankhafte Züge.«
    »Krankhaft?«, erwiderte seine Frau. »Wochenlang hast du keine Zeit für uns, weil du in London oder Derby oder sonst wo sein musst. Aber wenn irgendein Balg im Dorf getauft wird, kommst du angereist. Sogar die Patenschaft hast du übernommen. Welche Frau würde da keinen Verdacht schöpfen?«
    »Die Patenschaft ist nur Ausdruck meiner Fürsorgepflicht für das Gesinde. Ich wünschte, ich hätte sie bereits in der Vergangenheit etwas ernster genommen.«
    »Fürsorgepflicht! Für eine kleine blonde Zofe, die zufällig das hübscheste weibliche Wesen im Umkreis von zehn Meilen ist! Dass ich nicht lache!«
    »Und wenn ich dir schwöre, dass dein Verdacht jeder Grundlage entbehrt?«
    »Ach, Joseph, wie gern würde ich dir glauben, aber kann ich das? Hast du mir nicht immer wieder das Gegenteil bewiesen?«
    Victor sah Emily an. Verstand sie die Worte ihrer Eltern genauso, wie er sie verstand? Unter ihnen sprang der Terrier kläffend an dem Baumstamm empor, offenbar hatte er ihre Spur gerochen. Doch Emilys Eltern waren zu sehr mit sich beschäftigt, um auf den Hund zu achten.
    »Bitte, sag mir, dass du mich liebst«, sagte Mrs. Paxton.
    »Aber das weißt du doch, mein Schatz.«
    »Sag es trotzdem, ich möchte es noch mal hören, von dir.«
    »Ja, ich liebe dich, Sarah.«
    »Und du liebst nur mich und keine andere Frau?«
    »Natürlich nicht. – Aber sag mal, was ist das denn?«
    Victor zuckte zusammen. Paxton hatte den Korb entdeckt, den sie dort unten abgestellt hatten. Auch Emily wagte kaum zu atmen und rückte so dicht an seine Seite, dass er durch den Stoff seiner Hose ihren weichen Schenkel spürte, während Paxton zu dem Baumstumpf trat und den Korb verwundert in die Höhe hielt. Eine warme Welle erfasste Victor, und er konnte nur hoffen, dass Emily nicht die Beule bemerkte, die sich gerade in seinem Schoß bildete.
    »Das ist unser Picknickorb«, sagte Mrs. Paxton. »Was hat der denn hier verloren?«
    »Wahrscheinlich hat Emily am Teich gezeichnet und sich was zu essen mitgenommen.«
    »Und du glaubst, dafür hat sie die Taufe geschwänzt?«
    »Warum nicht? Du kennst doch deine Tochter. Wenn sie sich was vorgenommen hat, kann man sie nicht so leicht davon abbringen.«
    »Na, das Fräulein wird was erleben.«
    Ein Pfiff, und der Terrier schoss wie ein Blitz zu seinem Herrn. Schweigend sahen Victor und Emily zu, wie ihre Eltern mit dem Hund am Teich entlang davongingen. Erst als sie hinter dem Hügel verschwunden waren, drehte Victor sich zu Emily um. Sie war ganz blass, ihr Gesicht sah aus, als wäre es aus Wachs. Victor wusste nicht, wie er das Schweigen beenden sollte.
    »Ich glaube, du solltest jetzt auch gehen«, sagte er schließlich. »Sie werden dich suchen. Wenn du durch die Schlucht läufst, bist du vor ihnen wieder zu Hause.«
    »Und du?«, fragte Emily.
    »Der Zug fährt um halb sieben. Bis dahin laufe ich noch ein bisschen herum. Vielleicht treffe ich ja jemanden, den ich von früher kenne. Lebt eigentlich der alte Jackson noch, der immer mit Kuhfladen nach uns geworfen hat?«
    »Der alte Jackson? Willst du mich beleidigen?« Emily schüttelte den Kopf. »Kommt gar nicht in Frage, dass du mit dem die Zeit verbringst. Heute gehörst du mir allein.« Sie versuchte zu lächeln, doch Victor sah, wie schwer es ihr fiel.
    »Und deine Eltern?«, fragte er.
    »Die lass mal meine Sorge sein!«, sagte sie. »Komm, wir haben noch viel vor!«
    Den Nachmittag durchstreiften sie zusammen die Wiesen und Felder. Sie liefen zu dem Bach, den sie jeden Herbst und jedes Frühjahr aufgestaut hatten, nahmen die Abkürzung über die obere Weide, wo ein junger Bulle sie so wütend verfolgte, dasssie über einen Zaun flüchten mussten, und wanderten anschließend den Mörderhügel hinauf zu der

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