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Die Rebellin

Die Rebellin

Titel: Die Rebellin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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auf ihr, als wäre er in den Anblick eines kostbaren Gemäldes versunken.
    »Nein, Miss Emily«, sagte er leise und schüttelte den Kopf. »Das würde ich niemals wagen, und erst recht nicht am heiligen Sonntag.Sie sind die reizendste, hübscheste, attraktivste junge Frau, die mir je begegnet ist.«
    Emily spürte, wie ihr das Blut ins Gesicht schoss. Konnte es sein, dass dieser Mann, der ganz und gar kein Idiot war, sie wirklich und wahrhaftig begehrenswert fand? Nicht nur als gute Partie, sondern als Frau? Ungläubig erwiderte sie seinen Blick. Sein Gesicht war so ernst, dass er fast traurig wirkte. Als sie dieses Gesicht sah, wusste sie, dass er sich nicht über sie lustig machte – er meinte tatsächlich, was er sagte! Ein Gefühl stieg in ihr auf, als hätte in ihrer Brust jemand den Pfropfen von einer sprudelnden Quelle entfernt, und plötzlich war sie sehr froh, dass sie dem Rat ihrer Mutter befolgt und den Hut aufgesetzt hatte.
    »Danke, Mr. Cole«, sagte sie ebenso leise und hakte sich bei ihm ein, um den Heimweg fortzusetzen. Und noch leiser fügte sie hinzu: »So etwas Nettes hat mir noch keiner gesagt.«
    »Was hat dir noch keiner gesagt, mein Kind?«
    Emilys Eltern hatten sie eingeholt, zusammen mit Georgey, der hinter dem Rücken ihres Vaters Grimassen schnitt.
    »Oder stören wir vielleicht?«, fragte ihre Mutter mit einem feinen Lächeln. »Sie sehen fast so aus, Mr. Cole, als wollten Sie meiner Tochter gerade etwas Wichtiges sagen.«
    Emily verstand die Anspielung sofort und warf ihrer Mutter einen giftigen Blick zu. Doch trotz ihrer Empörung brachte sie keinen Ton hervor. Denn insgeheim wünschte sie sich fast, dass Henry Cole genau das tat, worauf ihre Mutter anspielte. Und sei es auch nur, damit ihre Verwirrung ein Ende hatte.
    »Stören, Mrs. Paxton?«, erwiderte Cole, bevor Emily etwas sagen konnte. »Aber nicht doch … Das heißt … Wenn ich Sie vielleicht auf ein Wort …«, stammelte er, auf einmal ganz konfus. »Bitte verzeihen Sie, Miss Emily, aber ich glaube, ich muss etwas mit Ihren Eltern besprechen. Mit Ihrer Erlaubnis?«
    Damit ließ er sie stehen und ging zusammen mit ihrem Vaterund ihrer Mutter voraus. Emily blieb nichts anderes übrig, als den dreien mit Georgey zu folgen.
    »Was will Mr. Cole mit Mama und Papa besprechen?«, fragte ihr Bruder und zupfte an ihrem Ärmel.
    Während er laut darüber nachdachte, warum die Erwachsenen immer, wenn es spannend wurde, für sich allein sein wollten, sah Emily aus der Ferne, wie ihre Eltern und Cole eindringlich miteinander redeten. Sollte es tatsächlich sein, dass der große Augenblick gekommen war und er um ihre Hand anhielt? Bei dem Gedanken wurde sie so nervös, dass ihr Herz zu stolpern anfing. Oder erklärte Cole ihren Eltern gerade, warum er sich nicht zu einem solchen Schritt entschließen konnte? Obwohl es sie in ihrem Stolz verletzte, erschien Emily diese Möglichkeit weitaus realistischer. Wahrscheinlich liebte er eine andere Frau und hatte sich nur aus Höflichkeit mit ihr abgegeben, so wie er ihr aus Höflichkeit vor ein paar Minuten diese wunderbaren Komplimente gemacht hatte. Schließlich wusste Emily, wie verlogen Erwachsene oft waren – sogar ihre Eltern, die immer so taten, als wären sie einander in unverbrüchlicher Treue zugetan, schienen Geheimnisse voreinander zu haben. Warum sollte Cole da eine Ausnahme sein?
    Jetzt blieben die drei stehen. Emilys Mutter hob verwundert die Brauen, und ihr Vater schüttelte energisch den Kopf. Cole zog ein Gesicht, als würde ihm das Gespräch physische Schmerzen bereiten. Plötzlich schämte Emily sich, wie früher als Kind, wenn sie bei einem sündigen Gedanken ertappt worden war. Nein, wenn Cole eine andere Frau lieben würde, hätte er nicht so zu ihr gesprochen, wie er es eben getan hatte – eine solche Scheinheiligkeit würde noch weniger zu ihm passen als sein unmusikalischer Gesang. Es musste einen anderen Grund für diese merkwürdige Unterredung geben. Doch was konnte das sein? Hatte es mit jenem Geheimnis zu tun, das Emily hinter Coles glänzender Fassade vermutete, seit sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte? Die Vorstellung, dass ihre Eltern gerade wichtigeDinge von diesem Mann erfuhren, die er ihr selber vorenthielt, machte Emily wütend. Sie war eine erwachsene Frau, alt genug, um zu heiraten, und trotzdem behandelte man sie wie ein Kind!
    »Seid ihr mit euren Geheimnissen fertig?«, sagte sie, als sie zu den anderen aufschloss.
    »Geheimnisse?«, fragte ihre Mutter

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