Die Rebellin
tiefen Zug, bevor sie den Mut hatte, die entscheidende Frage zu stellen.
»Hast du für das Geld, das wir für das
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bekommen haben, schon Aktien gekauft?«
»Nicht nur das«, sagte er leise. »Ich habe außerdem eine Hypothek auf unsere Wohnung in London und unser Haus in Chatsworth aufgenommen. Ich weiß gar nicht, wie ich das deiner Mutter sagen soll.«
Trotz der schwülen Luft in dem Gewächshaus musste Emily frösteln. »Das heißt, unsere Existenz steht auf dem Spiel?«
»Herrgott«, brauste er auf, »was war ich für ein Esel, alles aufeine Karte zu setzen! Wie ein betrunkener Russe im Spielcasino.« Dann verstummte er und schaute zu Boden. »Noch so ein Anschlag und wir sind ruiniert.«
Mit herunterhängenden Schultern saß er da. So hatte Emily ihren Vater noch nie gesehen. Plötzlich hatte sie das Gefühl, als trüge sie eine zentnerschwere Last. Und sie wusste auch warum: Ohne ihr Drängen hätte ihr Vater niemals so leichtsinnig gehandelt. Sie drückte die Zigarette in einem Pflanzenkübel aus und strich ihm übers Haar.
»Mach dir keine Sorgen, Papa«, versuchte sie ihm Mut zuzureden. »Die Polizei ist jetzt auf der Hut. Sie wird einen zweiten Anschlag verhindern. Bestimmt!«
»Glaubst du?«
»Du etwa nicht?«
»Wenn ich ehrlich bin …« Statt den Satz zu Ende zu sprechen, hob Paxton die Arme. »Die Polizisten haben nur Schlagstöcke. Was können sie tun, wenn solche Verbrecher kommen?«
Emily wusste nicht, was sie erwidern sollte. Sie hatte die Versammlung der Chartisten in London erlebt, O’Connors wütende Rede, die fanatische Begeisterung seiner Zuhörer, als er zur Gewalt aufrief, die aufgebrachte Menge, die einen wehrlosen Mann auf einen Mistkarren geworfen hatte.
»Trotzdem, wir dürfen nicht zulassen, dass du alles verlierst. Du hast dein Leben lang so hart gearbeitet, um zu erreichen, was du erreicht hast, und wenn das jetzt alles umsonst sein soll ….« Was sie sagte, war so erbärmlich, dass sie verstummte.
Doch plötzlich hatte sie eine Idee.
»Wenn die Polizei uns nicht schützen kann, dann müssen wir uns eben selber schützen«, erklärte sie.
»Und wie soll das gehen?«, fragte Paxton.
»Wir stellen eigene Truppen auf, um die Züge zu bewachen.«
Er schaute sie überrascht an. »Du meinst, eine Art private Armee?«
»Ja, mit Pistolen und Gewehren.«
»Hm«, machte er, »ich weiß nicht, irgendwie habe ich ein komisches Gefühl bei dem Gedanken.«
»Aber warum?«, fragte Emily.»Ich habe gehört, Fabrikbesitzer tun das auch, wenn gestreikt wird. Sie heuern ehemalige Soldaten und Polizeidiener an. Das ist nicht verboten, im Gegenteil! Jeder hat das Recht, sein Eigentum zu schützen!«
»Du kannst reden wie ein Politiker.«
Die Sorgenfalten auf der Stirn ihres Vaters glätteten sich, und das Stumpfe aus seinem Blick war verschwunden, als er sie in den Arm nahm, um sie an sich zu drücken. »Was habe ich nur für eine kluge Tochter. Ich bin sehr stolz auf dich«, sagte er, endlich wieder lächelnd, und gab ihr einen Kuss auf die Wange. »Danke, Emily. Du hast mir sehr geholfen. – Aber sag mal«, wechselte er dann abrupt das Thema, als wäre ihm die Blöße, die er sich gegeben hatte, schon wieder peinlich, »warum bist du eigentlich so spät in der Nacht auf? Hast du etwa noch gearbeitet?«
Emily schüttelte den Kopf. »Ich habe nicht schlafen können. Es gibt gerade so vieles, worüber ich nachdenken muss.«
»Hoffentlich nur erfreuliche Dinge«, sagte er zärtlich.
Emily sah ihr eigenes Spiegelbild, das ihr vom schwarzgrünen Grund des Teiches entgegenschien. Sie warf ein Steinchen in das Wasser und schaute zu, wie die Ringe sich ausbreiteten und ihre Gesichtszüge verzerrten.
»Mama und du«, fragte sie nach einer Weile, »wie war das eigentlich bei euch? Ich meine, wie hast du es geschafft, sie zu erobern?«
»Wie kommst du denn jetzt darauf?«, fragte er zurück.
»Immerhin war sie drei Jahre älter als du und stammte aus einer wohlhabenden Familie, während du keinen Penny hattest.«
»Um ehrlich zu sein, ist mir das selber ein Rätsel, bis heute. Deine Mutter hatte ja eine Menge Verehrer, alles junge Männer aus gutem Haus.«
»Und trotzdem hat sie dich genommen?«, fragte Emily undblickte zu ihm auf. »Obwohl sie immer so sehr auf ihre Stellung bedacht ist?«
»Dafür werde ich sie immer lieben, mein Leben lang. Ja, deine Mutter ist nicht nur eine sehr ehrgeizige, sondern auch eine sehr mutige Frau. Ich besaß ja nichts außer dem Hemd am
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