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Die Rebellin

Die Rebellin

Titel: Die Rebellin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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Sie werden uns den Hausrat stehlen, die Töpfe und Schüsseln, die Messer und Gabeln, ja sogar die Katzen und die Hunde. Politische Verbrecher aus Paris und Berlin werden sich in unserer Hauptstadt zusammenrotten und sich mit den Chartisten verbrüdern, um auch bei uns die Revolution zu entfachen, mit der sie den Kontinent bereits in Brand gesteckt haben. Und während wir hier reden, kaufen sie vielleicht schon in Calais die Tickets für die Überfahrt. Ja, gegen die Tollwut der Tiere schützen wir uns. Wollen wir da tatenlos zusehen, wie die viel gefährlichere Tollwut der Menschen vom Festland zu uns herüberschwappt?«
    »Hört! Hört!«
    Mit Beifall und Gelächter quittierten die Abgeordneten Sibthorps Attacke. Emily schielte zu ihrem Vater hinüber. Auf seiner Stirn hatte sich eine scharfe Falte zwischen seinen buschigen Augenbrauen gebildet. Sibthorps Rede schien ihre Wirkung nicht zu verfehlen.
    »Wenn die Weltausstellung scheitert«, fragte Emily so harmlos wie möglich, »wie wirkt sich das wohl auf die Aktien der Midland Railway aus?«
    Ihr Vater gab keine Antwort. Doch die Falten auf seiner Stirn wurden umso zahlreicher und tiefer, je länger Sibthorp redete.
    »Cole braucht deine Hilfe, Papa«, hakte Emily nach. »Wenn er einen Architekten präsentiert, der das Gebäudeproblem löst, kann ihn die Kommission nicht länger ignorieren.«
    »Dein Verlobter«, erwiderte Paxton, ohne sie anzusehen, »hat einen schweren Fehler gemacht, als er sich von den Mundays bestechen ließ. Die Entscheidung der Regierung, ihn aus der Schusslinie zu nehmen, ist absolut richtig. Ein solcher Korruptionsverdacht gefährdet das ganze Unternehmen.«
    »Cole hat das doch nur für mich getan, um eine Familie zu gründen. Verstehst du das denn nicht? Du bist doch auch nicht mit einem goldenen Löffel im Mund geboren.«
    Endlich drehte Paxton sich zu ihr um. Emily schöpfte Hoffnung. Hatte sie das richtige Argument gefunden?
    Doch ihr Vater schüttelte erneut den Kopf. »Nein, Emily, du kannst mich nicht von meiner Meinung abbringen. Der zukünftige Mann meiner Tochter muss in der Lage sein, seine Probleme selbst zu lösen.«
    Mit versteinertem Gesicht lauschte Paxton weiter der Debatte, eine Hand am Ohr, ganz und gar auf Sibthorps Rede konzentriert. Emily zögerte, ihn noch mal anzusprechen – sie kannte ihren Vater und wusste, wie es jetzt in ihm arbeitete und gärte. Statt durch weiteres Drängen seinen Trotz zu provozieren, vertraute sie lieber auf den Colonel. Sibthorp war ihr Verbündeter. Je heftiger er tobte, umso besser.
    »Und wo soll diese verfluchte Ausstellung stattfinden?«, rief er und stampfte mit seinem Reitstiefel auf. »Im Hyde Park, in der grünen Lunge von London! Das Gebäude wird sich darin ausbreiten wie ein Tuberkel. Schon jetzt wird ohne jede Scham darüber nachgedacht, Bäume im Park zu fällen, Jahrhunderte alte Ulmen, die unsere Ahnen gepflanzt haben, damit sie ihren Nachfahren Schatten spenden. Ja, unsere Großväter hatten noch Ehrfurcht vor einem lebenden Baum – weil man ihn nicht für Geld kaufen kann. Und was tut unsere Regierung? Sie macht sich mitschuldig an diesem Verbrechen und ist auch noch stolzdarauf. Wo aber, meine Herren, sollen die Kavallerieregimenter der Knightsbridge Barracks in Zukunft exerzieren, wenn ein solches Gebäudemonstrum im Hyde Park entsteht? Wo, meine Herren, sollen wir unseren Morgenausritt machen, wenn die Wege von neugierigen Ausländern und gemeingefährlichen Revolutionären verstopft sind? Nein, das ganze Unternehmen ist ein fürchterlicher Humbug – eine Verschandelung unserer Hauptstadt, eine Versündigung an der Natur, eine nationale Katastrophe. Und ich stehe nicht an zu prophezeien, dass dieses Unternehmen ein zweites Babylon wird, eine Beleidigung des allmächtigen Gottes, mit der wir die Strafe des Himmels auf uns und unsere Kinder herabbeschwören!«
    Noch einmal ließ Sibthorp seine Reitpeitsche durch die Luft sausen, dann verstummte er und nahm den Beifall der Abgeordneten entgegen. Wenn Emily auch nur einen Zweifel an der Bedeutung gehabt haben mochte, die das Gebäude für das Unternehmen der Weltausstellung besaß, so hatte Sibthorp ihn ihr genommen. Er hatte sich noch nicht wieder gesetzt, als sich ihm gegenüber ein anderer Redner von seinem Platz erhob, ein Gentleman mit grauem Haar und grimmigem Gesicht, der über den beigen Kniehosen eine lange grüne Weste trug, vor der eine goldene Uhrkette baumelte.
    »Sir Robert Peel«, sagte Paxton. »Jetzt

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