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Die Rebellin

Die Rebellin

Titel: Die Rebellin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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Während der Wagen schaukelnd wieder anfuhr, gab er dem Schaffner die Münzen.
    Da sah er draußen Emily. Sie hatte den Bus verlassen und überquerte den Platz.
    Victor ließ das Geld fallen und schob zwei Fahrgäste beiseite, umihr zu folgen. Im gleichen Augenblick warf der Schaffner den Schlag vor ihm zu.
    »Abspringen während der Fahrt verboten!«
    Ohne auf den Schaffner zu achten, setzte Victor über den Schlag. Doch als er auf der Plattform landete, erstarrte er.
    Während der Bus in immer schnellerer Fahrt das Parlament passierte, sah er, wie Emily im Laufschritt auf den Haupteingang des Gebäudes zueilte. Dort wartete ein Mann auf sie, der genauso aussah, wie Victor sich in seiner Kindheit Gottvater vorgestellt hatte, mit buschigen Augenbrauen und mächtigem Backenbart.
    Obwohl er den Mann, der Emily jetzt mit einer Umarmung begrüßte, in den letzten dreizehn Jahren nur einmal gesehen hatte, brauchte Victor keine Sekunde, um ihn zu erkennen.
    Es war ihr Vater, Mr. Joseph Paxton.

7
     
    »Wenn du mich auch nur ein bisschen lieb hast«, sagte Emily, »musst du mir helfen.«
    Ihr Vater lachte laut auf. »Zweihundertdreiunddreißig untaugliche Entwürfe, und ausgerechnet von mir erwartest du eine Lösung? Seit wann bin ich Architekt?«
    Die beiden nahmen auf der Besuchergalerie des Parlaments Platz, während der Plenarsaal unter ihnen sich allmählich mit den Abgeordneten füllte. Durch den Tabakdunst sah Emily, wie die Whigs und Tories und Radikalen sich unter den Kronleuchtern verteilten, rechts die Regierungsmitglieder, links die Männer der Opposition.
    Auf der Tagesordnung stand die erste Anhörung des Unterhauses zur Weltausstellung. Dass Emily an diesem Ort versuchte, ihren Vater für ihren Plan zu gewinnen, war die Idee ihrer Muttergewesen, und auch die grünen Einlasskarten, die zum Besuch des Parlaments erforderlich waren, hatte Sarah für eine halbe Krone das Stück besorgt. Die Debatte, so hoffte Emily, würde ihren Argumenten den nötigen Nachdruck verleihen. Sogar Pythia hatte ihr zugeraten.
    »Und was ist mit dem neuen Seerosenhaus?«, fragte sie. »Hast du das etwa nicht entworfen? Und unser Wohnhaus in Chatsworth? Und der Bahnhof von Rowsley? Kein Architekt der Welt hätte das besser machen können als du.«
    »Spar dir deine Schmeicheleien. Das ist doch alles nichts im Vergleich zu der Aufgabe, um die es hier geht.«
    »Du hast es vom Gärtnerjungen zum Gartenbaumeister und Vertrauten des Herzogs von Devonshire gebracht und außerdem zum Direktor einer der größten Eisenbahngesellschaften Englands. Dir gelingt alles, wenn du nur willst.« Sie strich ihr Kleid glatt, das von der langen Fahrt im Omnibus ziemlich zerknittert war, und zupfte an ihrem rechten Ohrring. Die Opale waren nicht nur ihre Lieblingsohrringe, sondern auch die ihres Vaters, und er hatte einmal behauptet, dass er ihr keinen Wunsch abschlagen könne, wenn sie sie trüge.
    Doch Paxton schüttelte den Kopf. »Falls ich ein wenig Erfolg im Leben gehabt habe, dann nicht zuletzt deshalb, weil ich immer meine Grenzen kannte. Hochmut kommt vor dem Fall, mein Kind! Außerdem hat sich die Kommission, soviel ich weiß, das Recht vorbehalten, einen eigenen Entwurf vorzulegen, wenn die anderen nichts taugen, und mit Isambard Brunel und Charles Barry gehören ihr die besten Architekten des Landes an. Nein, Emily, ich habe nicht vor, mich lächerlich zu machen, indem ich gegen solche Männer antrete.«
    Er wandte sich ab, um die Debatte zu verfolgen. Colonel Sibthorp, der Abgeordnete der Tories aus Lincoln, hatte sich von seinem Platz erhoben und bereits zu sprechen begonnen, ein kleiner Mann mit kriegerischem Knebelbart in Reitstiefeln und Reitdress, der während seiner Rede immer wieder eine Reitpeitschedurch die Luft sausen ließ. Emily kannte ihn, Sibthorp war fast so berühmt in London wie Big Ben, der Glockenturm des neuen Parlaments. Seit Jahren wetterte er gegen alles, was anders und fremd und »unbritisch« war: gegen die Emanzipation der Katholiken und die Aufhebung der Kornzölle, gegen die Eisenbahn und die Anerkennung Alberts als Prinzgemahl der Königin. Und jetzt gegen die Weltausstellung.
    »Gentlemen!«, rief er. »Eine solche Ausstellung wird der endgültige Sieg von Kohle und Stahl über Korn und Viehzucht sein. Horden von Ausländern werden in unser Land einfallen, um es mit billigen Waren zu überschwemmen. Wie Heuschrecken werden sie über uns kommen, das Gras von den Weiden und das Getreide von den Feldern fressen.

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