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Die Rebellin

Die Rebellin

Titel: Die Rebellin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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riefen Joseph Paxtons Namen und winkten ihm mit ihren Zeitungen zu. Emily fühlte sich wie ein Kind, das am Geburtstagsmorgen aufwacht und seine Eltern und sämtliche Geschwister an seinem Bett versammelt sieht. Hand in Hand stand sie mit ihrem Vater auf der Galerie und nahm den Beifall der Abgeordneten entgegen, die jetzt fast vollständig aufgestanden waren und klatschten.
    Was in aller Welt war der Grund für dieses Wunder?
    Als sie zusammen das Foyer betraten, bildeten die Menschen eine Gasse, um ihnen Platz zu machen. Sogar Isambard Brunel zog seinen Hut und deutete eine Verbeugung an. Emily schaute sich nach einer Toilette um. Da kam ihnen der greise Tory entgegen, der die unerwartete Wende herbeigeführt hatte.
    »Eigentlich war ich ja gegen die Weltausstellung, Paxton«, sagte er mit schnarrender Stimme. »Doch als ich erfuhr, dass Sie die Sache in die Hand genommen haben, war ich vom Erfolg überzeugt. Fabelhafter Entwurf! Oh, was für ein hübscher Schwan ist aus dem hässlichen Entlein geworden!«, unterbrach er sich, um Emily zu begrüßen. »Miss Paxton, nehme ich an? Ich hoffe, Sie haben sich von Ihrem unfreiwilligen Bad inzwischen erholt.« Erst jetzt erkannte Emily den Greis: Es war Feldmarschall Wellington, derselbe, der vor Jahren die Königin nach Chatsworth begleitet hatte, um die Seerosen zu besichtigen. Als er sich nun über ihre Hand beugte, war sie fast so durcheinander wie damals, als sie in den Teich gefallen war.
    »Entschuldigen Sie, Sir, meine Tochter!«, stellte Paxton sie vor.
    »Doch bitte verraten Sie mir, woher kennen Sie meinen Entwurf? Er lag bisher doch nur der Kommission vor.«
    »Spielen Sie ja nicht den Unschuldigen«, erwiderte Wellington und hielt ihm seine Zeitung unter die Nase. Auf der Titelseite prangte Paxtons Entwurf für den Ausstellungspavillon in riesiger Wiedergabe.
    »Die
Illustrated London News
, die Ausgabe von morgen früh«, erklärte Henry Cole, der mit einer Verbeugung zu ihnen trat.
    Als Emily sein Grinsen sah, fiel bei ihr der Groschen. Ihr Verlobter hatten diesen Coup gelandet! Heimlich, hinter dem Rücken des Feldmarschalls, warf sie ihm eine Kusshand zu.
    »Mobilisierung der Öffentlichkeit, was?«, schnarrte Wellington. »Fabelhafte Strategie, Paxton! Damit werden Sie London im Handstreich erobern!«

17
     
    »Toby!«
    Victor war sicher, dass er die Stimme erkannt hatte. Sein Freund musste irgendwo zwischen den Eisenbahnwaggons stecken, zusammen mit Robert und dem Ausländer. Er lief in die Richtung, in der er glaubte, die drei gehört zu haben, und wollte noch einmal rufen – da schlug eine Flamme vor ihm auf. Im selben Augenblick gab es einen Knall, als hätte jemand eine Kanone abgefeuert, und eine unsichtbare Welle warf ihn zu Boden. Bevor Victor begriff, was geschah, überschlug er sich, wie ein Boxer beim Knockout, und rollte eine Böschung hinunter.
    Als er die Augen öffnete, stand der Himmel über ihm in Flammen. Für einen Moment hatte er jede Orientierung verloren. Um sich herum tastete er nur Schlamm und Geröll.
    »Victor?«
    Die Stimme erreichte ihn wie aus dem Jenseits. Er rappelte sich auf und schaute in die Höhe. Überall Flammen und schwarze Nacht. Dann sah er eine Gestalt, die den Arm nach ihm ausstreckte.
    »Toby?«
    »Ja. Alles okay? Hier, nimm meine Hand.«
    Victor griff nach dem Arm und kletterte die Böschung hinauf. Oben sah es aus, als wäre eine Bombe eingeschlagen. Ein Eisenbahnwaggon brannte lichterloh, und zwischen den Gleisen war ein Krater, der sich mehrere Fuß tief in das Erdreich senkte.
    »Was zum Teufel ist hier los?«
    »Robert und der Franzose«, stammelte Toby, das Gesicht von Dreck verschmiert. »Die beiden sind das gewesen …«
    »Was für ein Franzose?«
    »Monsieur Pierre. Er hatte das Kommando … Aber … aber – da ist er ja …« Die Worte erstarben auf Tobys Lippen, während er in die Richtung des brennenden Waggons zeigte.
    Am Rande des Kraters sah Victor einen Mann. Er lag auf dem Rücken, als würde er schlafen, und schien im Traum zu lächeln. Aus dem zerfetzten Ärmel seiner Jacke ragte ein blutiger Stumpf hervor.
    »O Gott!«
    Der Arm hing direkt über der Leiche, im zersplitterten Fenster eines Waggons. Die Hand bewegte sich, als würde sie jemandem winken.
    Irgendwo bellte ein Hund, eine Männerstimme brüllte Befehle. Gleich darauf tauchte Robert zwischen zwei Waggons auf und rannte davon.
    »Los«, sagte Victor. »Nichts wie weg!«
    Toby rührte sich nicht vom Fleck. Wie gebannt starrte er

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