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Die Rebellin

Die Rebellin

Titel: Die Rebellin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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auf die Leiche des Franzosen und den abgerissenen Arm.
    »Herrgott! Worauf wartest du?«
    Victor gab ihm eine Ohrfeige. Endlich erwachte Toby aus seiner Erstarrung und lief los, in Richtung des Schuppens.
    »Nicht dahin«, schrie Victor. »Lauf Robert nach!«
    Toby machte kehrt und rannte in die Richtung des Droschkenplatzes.
    Da fiel ein Schuss.
    Er traf Toby mitten im Sprung über ein Gleis. Als würde jemand ihn ins Kreuz schlagen, schnellte sein Körper in die Höhe, seine Hände griffen in die Luft, dann sank er wie ein Sack zu Boden. Ein Pfiff gellte durch die Nacht.
    Victor blickte zum Schuppen hinüber. Wachtruppen näherten sich, mindestens zehn Mann, sie waren keine hundert Yards entfernt. Eine Stimme in ihm schrie nur ein Wort:
Flieh!
Dann sah er Tobys Gesicht, es bestand nur aus Schmerz und Angst. Die Männer und Hunde kamen immer näher. Victor wurde panisch. Sie mussten weg hier – doch wohin? Er packte Toby unter den Achseln, schleifte ihn hinter einen Waggon und rüttelte an dem Riegel der Schiebetür. Zum Glück ließ sich die Tür öffnen, das Abteil war leer. Er hievte Toby hinein und sprang dann auf das Trittbrett. Er schaffte es gerade noch, die Tür von innen zu schließen, als die Wachmänner die Gleise erreichten.
    »Wo … wo bin ich?«
    Toby versuchte, sich auf den Ellbogen aufzurichten. In dem Waggon roch es nach Schafen und Kot. Draußen hörte Victor schwere Stiefelschritte. Er hielt Toby den Mund zu und lauschte mit angehaltenem Atem. Laut prasselte der Regen auf das Dach, durch die Lüftungsschlitze fiel der flackernde Lichtschein des Feuers in den Waggon.
    »Hier müssen sie irgendwo sein!«, rief eine Stimme ganz in der Nähe, nur durch die Bretterwand von ihnen getrennt.
    »Nein! Da hinten! Beim Droschkenplatz!«
    »Wo?«
    »Hast du Scheiße auf den Augen? Da rennt er doch!«
    »Los! Ihm nach!«
    Ein Hund schlug an, und die Männer setzten sich wieder in Bewegung. Gott sei Dank – Victor atmete auf. Mit den Händenkehrte er das Stroh zusammen, das auf dem Boden ausgestreut lag, und so vorsichtig er konnte, bettete er Toby auf das Polster. Jede Bewegung schien dem Jungen Schmerzen zu bereiten.
    »Warum … tut mir alles so weh?«, flüsterte Toby. »Hat Mr. Finch … mich wieder verprügelt? Ich … ich kann mich gar nicht erinnern.«
    »Spürst du, wo die Kugel steckt?«, fragte Victor.
    »Was … was für eine Kugel?«
    Schwarze Schatten tanzten auf Tobys Gesicht, aus dem Victor zwei große weiße Augen anstarrten. In der Dunkelheit konnte Victor nicht erkennen, wo die Kugel seinen Freund getroffen hatte, und er traute sich nicht, ihn abzutasten. Was sollte er tun? Er beschloss zu warten, bis die Wachen das Feuer gelöscht hatten, um Toby dann zum Arzt zu bringen. Er kannte in Temple Bar einen Chirurgen, vor einem Monat hatte er für ihn eine medizinische Schautafel gedruckt, von einem Mann, dem gerade der Bauch aufgeschnitten wurde. Victor kramte in seiner Tasche. Er hatte noch einen Schilling. Das müsste für eine Droschkenfahrt bis Temple Bar reichen.
    »Ich … ich wollte dich nicht verraten«, flüsterte Toby. »Die beiden … haben mich erpresst, Robert … und der Franzose.«
    »Psst. Du sollst jetzt nicht reden.«
    Ein Büschel Stroh klebte an Victors Hand. Er wollte es an seiner Hose abstreifen, doch dann hob er die Hand ins Licht. Sie war voller Blut. Es stammte von Toby, kein Zweifel, doch wo zum Teufel war die Wunde? Victor kniff die Augen zusammen, um etwas zu erkennen. Dann sah er das Loch in Tobys Hemd – es war direkt über dem Herzen. Er schloss kurz die Augen und holte Luft. Die Kugel musste einmal quer durch den Körper gedrungen sein. Aus dem Loch sickerte immer noch Blut. Victor zog sich die Jacke und das Hemd aus, um einen Verband zu machen.
    »Ich … ich wollte nicht mit Robert gehen«, flüsterte Toby, so leise, das Victor ihn kaum verstand. »Ich wollte mit dir kommen … ins Büro der Reederei. Aber… das war unmöglich … Siehaben mich erpresst … Sie … wollten dich verraten … Das musst du mir glauben, wir … wir sind doch Freunde.«
    »Natürlich sind wir Freunde, Toby, das weiß ich doch. Aber hör jetzt auf zu reden. Du musst ganz still liegen bleiben, ohne dich zu bewegen.«
    »Die besten … Freunde sind wir … Die besten Freunde … von der Welt.«
    Victor riss einen Streifen Stoff von seinem Hemd, um damit das Blut zu stillen. »Gleich lassen die Schmerzen nach«, sagte er, während er den Lappen auf die Wunde presste. »Dann bringe

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