Die Rebellin
Emilys Vater war am Morgen nach der Parlamentsdebatte schon wieder nach Derby gereist, und Sarah hatte zu ihrem Bedauern nach Chatsworth zurückkehren müssen. Zu ihrem Bedauern – oder weil sie die zwei bei ihrem Tête-à-tête nicht stören wollte.
»Würden Sie die Freundlichkeit haben, mich einmal zu kneifen?«, sagte Cole. »Damit ich weiß, dass ich nicht träume?«
»Erst wenn wir verheiratet sind«, sagte Emily. »Offiziell sind wir ja nicht mal verlobt. Außerdem – seit wann haben
Sie
was gegen Träume?«
Er hatte alle Zeitungen mitgebracht, die es in London zu kaufen gab, und ihr beim Essen die Artikel über die Abstimmung im Unterhaus vorgelesen. Emily fand das nicht sehr romantisch; sie hatte sich darauf gefreut, an diesem Abend allein und ungestört die Zweisamkeit mit Cole zu genießen. Doch der Inhalt der Lektüre entschädigte sie für diese kleine Enttäuschung umso mehr. Die Zeitungen feierten ihren Vater als Retter der Weltausstellung und Helden der ganzen Nation. Galt Prinz Albert seit seiner Rede im Mansion House als Prophet der neuen Zeit, wurde Joseph Paxton als der Mann gepriesen, der mit seinem Entwurf für den Pavillon das Tor zur Zukunft Englands aufgestoßen hatte. Und auch Emilys künftiger Ehemann wurde immer wieder erwähnt: Seine Ernennung zum Organisationschef des Exekutivkomitees, die Paxton vorgeschlagen hatte, fand den uneingeschränkten Beifall der Presse. Mr. Henry Cole, schrieb die
Times
, sei es vor allem zu verdanken, dass der Garantiefonds, den Samuel Peto mit einer Summe von fünfzigtausend Pfund ausgestattet hatte, in nur wenigen Tagen auf stolze dreihundertundfünfzigtausend Pfund angewachsen war. Die Liste der Garanten, die Cole der Bank von England überreicht hatte, umfasste die bedeutendsten Persönlichkeiten der Londoner City – ein unwiderlegbarer Beweis für das Vertrauen, das die Finanz- und Geschäftsleute der Hauptstadt trotz aller Risiken in den Erfolg der Weltausstellung setzten. Damit stand dem Baubeginn im Hyde Park nichts mehr im Wege; ab sofort konnte die große Vision Wirklichkeit werden.
»Sehen Sie«, sagte Emily, »es gibt immer eine Chance.«
»Ich habe nie etwas anderes behauptet!«
»Eine so freche Lüge gehört eigentlich bestraft, und ich würdekeine Minute zögern, diese Aufgabe auf mich zu nehmen, wenn nicht die Aktien der Midland Railway trotz des fürchterlichen Anschlags so kräftig gestiegen wären.«
»Betrachten Sie den Kursgewinn als meine Mitgift. Um Ihrer würdig zu sein.« Plötzlich wurde Cole ernst. »Ich danke Ihnen, Emily. Wenn Sie mir nicht Mut gemacht hätten, ich glaube, ich hätte alles hingeschmissen.«
»Papperlapapp! Das haben Sie ganz allein geschafft! Mein Gott, wie Sie plötzlich mit den Zeitungen ins Parlament gekommen sind – ich hatte ja gar keine Ahnung.«
Cole grinste. »Verstehen Sie jetzt, warum unsere Verbindung nicht früher publik werden durfte? Wenn bekannt geworden wäre, dass der Chef des Organisationskomitees ausgerechnet die Tochter jenes Mannes heiraten will, der den Ausstellungspavillon baut – der Skandal wäre nicht auszudenken!«
Emily erwiderte sein Grinsen. »Dann haben Sie also von vornherein auf die Unterstützung meines Vaters spekuliert?«
»Können Sie mir noch einmal verzeihen?«, fragte er mit gespielter Zerknirschung.
Für eine Sekunde dachte Emily, dass in dem Fall Cole auch sie ein ganz klein wenig hintergangen hatte. Doch bevor sich dieser unschöne Gedanke in ihr breit machen konnte, hob sie ihr Glas.
»Ich weiß gar nicht, auf wen ich stolzer sein soll: auf meinen Vater oder auf meinen Verlobten.«
»Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf – weder noch!«, sagte Cole. »Das größte Verdienst gebührt nämlich einer Person, von der keine einzige Zeitung etwas weiß.«
»Und wie heißt dieses geheimnisvolle unbekannte Wesen?«
»Miss Emily Paxton!«
Sie wollte etwas erwidern, etwas möglichst Witziges und Geistreiches, doch dann spürte sie, wie ihr vor Freude das Blut in die Wangen schoss. Sein Kompliment war viel zu schön, um es mit einem geistreichen Witzchen zu erwidern.
»Danke«, sagte sie darum nur und stieß mit ihm an.
Ein heller, zarter Ton erklang, als ihre Gläser einander berührten, und schwebte eine Weile im Raum.
»Was meinen Sie«, fragte Cole, »ob wir Prinz Albert zur Hochzeit einladen sollen? Vielleicht würde er uns tatsächlich die Ehre geben.«
Die Erwähnung der Heirat löste eine zärtliche Woge in Emily aus.
»Ich habe fünfhundert Pfund
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