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Die Rebellin

Die Rebellin

Titel: Die Rebellin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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für den Garantiefonds gezeichnet«, sagte Cole, als sie nichts auf seinen Vorschlag erwiderte. »Ich habe einen Kredit dafür aufgenommen, damit der Prinzgemahl sieht, dass ich bereit bin, auch persönlich meinen Beitrag …«
    »Psssssssst«, machte Emily und legte ihm einen Finger auf die Lippen.
    Sie stellte ihr Glas ab und schaute ihn an. Es war wie ein Zauber, als ihre Blicke sich trafen: Auf einmal war alles anders, obwohl nichts sich verändert hatte. Ein Mann und eine Frau in einem Séparée bei Kerzenschein … Emily sah sein Gesicht, sah, wie er schluckte, als sie sich ihm näherte, sah das Verlangen in seinen Augen. Ja, er war der Mann, der sie liebte, und dafür liebte sie ihn.
    Sie schlang ihre Arme um seinen Hals.
    »Lass mich heute deine Frau werden, Henry«, flüsterte sie, als ihre Lippen verschmolzen, »jetzt gleich, hier in diesem Raum …« Sie versanken in einem tiefen, leidenschaftlichen Kuss.
    Wortlos löschte Henry Cole die Kerzen, und während Emily begann, ihr Kleid aufzuknöpfen, trat er ans Fenster, um den Spalt zu schließen, der in dem schweren Samtvorhang klaffte.
    Vor dem Lokal, im Lichtschein einer Straßenlaterne, stand ein junger Arbeiter und aß einen Apfel. Aus einer Seitengasse kamen zwei Konstabler, die plaudernd ihren Rundgang machten. Als sie sich der Kreuzung näherten, warf er den Apfel fort und verschwand in der Dunkelheit.

DRITTES BUCH
Der babylonische Turmbau
1850/1851

1
     
    Ein Bauwerk, wie die Welt noch keines je zuvor gesehen hatte, wuchs auf dem grünen Teppich des Hyde Park heran. Auf einer Fläche, auf der das bislang größte Gebäude der Menschheitsgeschichte, der Petersdom zu Rom, viermal Platz gefunden hätte, nahmen über zweitausend Arbeiter der Firma Fox & Henderson den Kampf gegen die Zeit auf. Nur zweiundzwanzig Wochen betrug die Frist, die für die Vollendung des gewaltigen Werks zur Verfügung stand. Doch das Tempo, in dem die Arbeiten voranschritten, war Atem beraubend. Woche für Woche, Tag für Tag, Stunde für Stunde schraubte sich der gläserne Pavillon höher in den Himmel empor: ein Skelett aus dreitausendfünfhundert Tonnen Gusseisen, in das nach und nach vierhunderttausend Glasplatten eingefügt werden mussten – achtzehntausend pro Woche, dreitausend pro Tag, zweihundertvierzehn pro Stunde.
    »Kristallpalast«, so taufte der
Punch
das Gebäude. Ein Name wie ein Zauber, ganz England verfiel seiner Magie. In ihm klangen halb verschollene Märchen an, aus der Kindheit der Menschen und der Völker. Die Zeitungen, die täglich von der Baustelle wie von einem Kriegsschauplatz berichteten, feierten den Pavillon als Vermählung von Natur und Industrie und zugleich als die größte Demonstration der Geschichte, wozu Technik und Ingenieurskunst imstande waren. Produktion und Montage gehorchten einem sorgfältig durchdachten, bis ins Detail aufeinander abgestimmten Plan. Während die großen Fachwerkträger, die in Einzelteilen aus Birmingham kamen, noch auf dem Bauplatz zusammengefügt wurden, erfolgte bereits der Aufbau des Gebäudes. Fundamente wurden eingebracht, Stützen aufgerichtet, Träger verschraubt, Streben und Rinnen verlegt. EinVorgang bedingte den anderen, alle Arbeiten griffen ineinander wie die Räder eines gigantischen Uhrwerks, mit solcher Perfektion, dass der Pavillon beinahe lautlos entstand, wie einst der Tempel Salomos. Nur ein helles Hämmern und Klirren erfüllte vom Aufgang der Sonne bis zum Untergang die Luft, als würden zahllose Glocken und Glöckchen eine Hochzeitsfeier ankündigen, während Schaulustige aus allen Grafschaften des Landes herbeigepilgert kamen, um das gläserne Wunder zu bestaunen. Fünf Schilling Eintritt wurde für die Besichtigung erhoben, doch niemand murrte über den Preis. Die Besucher spürten, dass sich in diesem Gebäude, dem neuen Wahrzeichen Londons, die ganze Herrlichkeit des Jahrhunderts widerspiegelte, vor allem aber die ganze Herrlichkeit des Empires.
    Die Organisatoren und Politiker waren sich darum mit den Geschäftsleuten einig: Die Weltausstellung versprach das größte Geschäft aller Zeiten zu werden. Ladenbesitzer und Krämer deckten sich schon jetzt mit Waren ein und verdoppelten die Preise, Hotels schafften Tausende zusätzlicher Schlafmöglichkeiten, Restaurants ließen neue Speisenkarten drucken. Eine wahre Völkerwanderung stand bevor. Überall im Land wurden Sparvereine gegründet, ob Bauer oder Manufakturarbeiter, Pfarrer oder Schornsteinfeger – jeder wollte zu der Ausstellung

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