Die Rebellin von Leiland 1: Maske (German Edition)
erkannte die uralte Sprache von Leiland wieder. Das war ein Liebeslied. Leider verstand er nur ein paar Worte, aber nichts konnte die Großartigkeit dieses Tanzes mit dem Tod mindern.
Während sie über den Körper des jungen Mädchens glitt, verschmolz die Kreatur mit denjenigen, die sich bereits dort befanden. Sie war jetzt beinahe genauso hell wie die anderen. Erst, als ihre Farbe sich vollständig gewandelt hatte, veränderte das Mädchen sein Lied. Beruhigt versank das angriffslustige Geschöpf langsam wieder im Wasser. Es schien den Unbekümmerten vergessen zu haben, der es gestört hatte. Die junge Frau wich daraufhin in kleinen Schritten zurück, um aus der Lagune zu steigen, und ihre eigenen Kreaturen nahmen ihren Platz auf ihrem Körper wieder ein.
Der Gesang war zu Ende, aber Andin stand noch immer unter Schock und war zugleich bezaubert von der Szene: Er hatte wirklich geglaubt, dass dieses Geschöpf die schöne Unbekannte verschlingen würde. Noch immer umklammerte er mit einer Hand fest den Dolch. Die Wasserfläche lag ruhig da. Wäre man danach gegangen, hätte man kaum glauben können, dass ein solches Monster darin hauste. Doch Andin hatte nicht geträumt. Diesmal nicht! Was war das ?
Er hatte gar nicht erst Zeit, die Frage zu stellen; das Mädchen beantwortete sie schon: »Das ist eine Amalyse – das bedeutet auf Leiländisch Mörderpflanze . Sie ist ein Wesen, das überaus sensibel ist und nicht gestört werden mag. Wenn man sie verletzt, beantwortet sie das erbarmungslos, indem sie einen tötet.«
»Reizend. Gibt es viele von denen hier?«, stieß Andin hervor, bevor er sich zu der Fremden umdrehte.
»Das hier ist ihr Geburtsort! Du bist an der Amalysenquelle! Ich verstehe nicht, wie du bis hierher hast gelangen können.«
In ihrem Lächeln lag etwas Bezauberndes, aber ihr Blick war noch betörender. Ihre Augen waren blau – aber nicht von einem gewöhnlichen hellen oder verwaschenen Blau. Ihr Blau war das der Nacht, dunkel und geheimnisvoll, ein vor Sternen und Lichtstrahlen funkelndes Marineblau, das perfekt mit den reinen Gesichtszügen harmonierte. Die junge Frau war schön – zu schön, um wirklich zu sein. Andin brachte kein Wort mehr hervor, so überwältigt war er.
Es war der Schmerz, der ihn wieder auf den Boden der Tatsachen zurückführte: Sein Arm tat ihm weh. In seinen nassen Kleidern fühlte er sich wie ausgeblutet.
»Lass mich das anschauen«, bat sie. Sie schien seine Verletzung erst jetzt zu bemerken.
Andin gehorchte und ließ zu, dass sie ihm half, sich hinzusetzen. Sie riss das zerfetzte Ärmelstück ab und entfernte sich, ohne die Wunde recht zu untersuchen. Aus den Pflanzen, die sie mit den kleinen Halbkatzen oder Halbratten ausgetauscht hatte, wählte sie ein Exemplar mit rosafarbenen, durchlöcherten Blättern aus. Dann kam sie zurück und kniete sich neben den jungen Mann. Das Ziehen legte sich ein wenig bei der kühlen Berührung der Pflanze, aber Andin interessierte sich mehr für das Gefühl, das die Finger des jungen Mädchens hervorriefen, als für seine aufgerissene Haut. Die Schöne war wirklich keine Illusion, sie war echt!
»Ich weiß nicht, wie ich Euch für all das danken soll, was Ihr für mich tut«, stammelte er, als sie fertig war.
Obwohl sie zwei oder drei Jahre jünger als er war und im Wald zu hausen schien, konnte er sie nicht einfach duzen: Sie musste eine niedere Gottheit sein.
» Ihr ?! Wie kommst du darauf, so mit mir zu reden? In diesem Wald ist nichts unwichtiger als leere Konventionen oder Hierarchien! Es spielt kaum eine Rolle, wer wir sind. Ich habe eingegriffen, weil ich den Tod nicht mag. Aber was treibst du in diesem Teil des Waldes?«, fuhr sie im selben Atemzug fort. »Woher stammst du, dass kein Leiländer dich vor der Gefahr hat warnen können?«
Er wusste nicht, was er darauf erwidern sollte. Er hatte sich für den Stärkeren gehalten – und sich wie ein Schwachsinniger aufgeführt.
»Ich heiße Andin. Ich stamme aus dem Königreich Pandema jenseits der Versteinerten Berge und bin auf dem Weg in die Hauptstadt von Leiland. Die Geheimnisse und die Schönheit des Waldes haben mich angezogen, ich habe nicht an all die Geschichten glauben wollen, die man sich erzählt. Ich wollte mir selbst ein Bild machen.«
Sein Tonfall war der eines Kindes, das eine Verfehlung eingesteht. Das Mädchen wusste diese Aufrichtigkeit zu schätzen: Der Weg, den er zurückgelegt haben musste, sprach für seine Kühnheit. Andin wartete darauf,
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