Die Rebellin von Leiland 1: Maske (German Edition)
verband ihn schon etwas mit dem kleinen Mädchen. Er drängte sich zwischen den Soldaten hindurch, aber sein Vater hielt ihn zurück. Das kleine Mädchen, das von den Soldaten weggeschleppt wurde, deutete seine Bewegung richtig und rief ihm zu: »Ich werde schon noch davonkommen!«
Andin dachte wieder an jene Nacht zurück. Es war verstörend, wie genau er sich an alles erinnerte! Sogar an den Gestank der Kerker, die Kälte der Bodenplatten und die Schreie der Gefangenen:
Es gelang ihm, aus seinem Zimmer zu entkommen, um dann durch die Gänge zu den Zellen zu gelangen. Er ging große Risiken ein – nicht nur, was ihn selbst betraf, sondern auch für das Volk von Pandema. Wenn sein Verrat bemerkt würde … Sein Vater hatte schon lügen müssen, als er abgestritten hatte, hinter dem Eindringen des Mädchens zu stecken. Aber Andin war entschlossen, alles zu tun, um sie zu retten!
Wie überrascht er war, als sie ihm auf einem Gang begegnete. Sie schlug ihn beinahe nieder, weil sie ihn für eine Wache hielt. Das Mädchen trug wieder ihre Abenteurerinnenkleider, mit offenen Haaren und ihrer Maus auf der Schulter.
Sie nahm den jungen Prinzen an die Hand und zog ihn durch das Labyrinth der Kerker mit. Alles war dunkel und feucht; die Stille lastete bedrückend auf den beiden Flüchtlingen. Oft drückten sie sich gegen eine nässende Mauer oder verkrochen sich in einen düsteren, ekelerregenden Winkel, um den Soldaten auszuweichen. Und häufig blieb ihnen das Herz stehen, weil sie glaubten, gefasst worden zu sein. Andin war es gleichgültig. Er genoss dieses Abenteuer. Jedes Mal, wenn sie sich an ihn drückte, überlief ihn ein Schauer: Er kam sich wichtig, stark und sogar unbesiegbar vor! Trotz des schauerlichen Orts, des Wimmerns im Sterben liegender Gefolterter, das zu hören war, und der Unsicherheit ihrer Situation konnte er nicht umhin, das Mädchen zu bewundern. Sie war sein Sonnenstrahl. Ihre Hände lösten sich die ganze Zeit über nicht voneinander, und ihr Lächeln und die Blicke aus ihren grauen Augen bewiesen ihm, dass sie froh über sein Kommen war.
Es gelang ihnen, aus dem Palast zu entwischen, indem sie durch ein offen stehendes Kellerfenster stiegen. Immer noch vereint liefen sie atemlos durch den Wald, bis zu einer Klippe, die über dem Meer aufragte. Das Gefühl, das Andin in jenem Moment verspürte, ließ ihn noch jetzt die Augen schließen.
Die beiden Kinder streckten sich im hohen Gras aus und lachten, froh, diesen Moment der Freiheit gemeinsam zu erleben. Aber Andins Neugier verdarb alles.
Das kleine Mädchen wollte einen Großteil seiner Fragen nicht beantworten. Und je mehr er herauszufinden versuchte, desto schweigsamer und trauriger wurde sie. Am Ende stand sie auf, um das Meer zu betrachten, so dass der Wind ihre Haare zart anhob.
»Ich kann nicht mit dir nach Pandema kommen. Mein Land wartet jenseits dieses Meeres auf mich. Ich bin von den Drei Feen des Ostens erwählt worden, um ihm den Frieden zurückzubringen. Ich muss alles tun, damit mir das gelingt. Es ist drei Jahre her, dass ich meine Familie zuletzt gesehen habe, und ich werde sie erst wiedersehen, wenn ich dreizehn Jahre alt bin … Mein Lehrmeister hat mir gesagt, dass zuerst meine Erziehung vollendet werden muss. Aber ich weiß nicht, ob ich eines Tages gegen geübte Männer werde kämpfen können. Schwerter sind so schwer! Meinst du, dass es verrückt ist, daran zu glauben?«
Das waren nicht die Worte eines Kindes – und doch waren sie aus dem Munde eines kleinen Mädchens von neun Jahren gedrungen.
»Ich wäre sehr gern bei dir geblieben« , setzte sie bedauernd hinzu, »aber ich muss in die Schwarzen Lande reisen. Ich habe kein Boot mehr, weil der Kaiser der Gänseländer mich betrogen hat, aber wir haben andere Mittel … Ich muss gehorchen.«
Das ganze Gewicht der Welten lastete in dem Augenblick auf ihren Schultern, und sie sank auf die Knie. Tränen erschienen in ihren Augenwinkeln. Sie war ein Mädchen, das niemals den Luxus kennengelernt hatte, einer Laune nachzugeben. Geknickt pflückte Andin ihr eine schöne, weiße Syllis, eine Wildblume, die er im Gras entdeckt hatte. Er streichelte ihr mit den weichen, zarten Blütenblättern das Gesicht, wie seine Mutter es mehr als einmal getan hatte, um ihn zu trösten. Als Prinz kannte er seine Pflichten und Verbindlichkeiten – sein Vater rief sie ihm täglich ins Gedächtnis!
Die Maus, die auf der Schulter des kleinen Mädchens saß, sprang ins Gras und
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