Die Rebellin von Leiland 1: Maske (German Edition)
Zeit gewesen, in der er noch nicht um die Prophezeiung der Drei Feen gewusst hatte, die Zeit, in der er am Hof von Pandema gelebt hatte, die Zeit, in der er die unbedeutende Rolle, die er als Dritter Prinz spielte, noch hingenommen hatte. Bevor er beinahe in den Schwarzen Landen am Tollfieber gestorben und auf den Gedanken gekommen war, die Nachricht von seinem Tod in Umlauf zu bringen.
Er hatte sich mit seinem Vater in den Gänseländern aufgehalten, um seine Waffenkunst zu perfektionieren. Der größte aller Waffenmeister hatte dort gelebt und die Elite der Welten ausgebildet. Veyk hatte Stärke und Weisheit gelehrt.
Dennoch war der Waffenmeister, wie Andin sich erinnerte, bei ihrer ersten Begegnung aufgeregt gewesen. Er hatte auf einer Holzkiste gehockt und fieberhaft wie ein Kind den Großen Platz der Stadt durch sein Kellerfenster beobachtet. Er hatte sogar vergessen, den kräftigen König Frederik zu begrüßen. Stattdessen hatte er den jungen Prinzen beiseitegenommen, um ihm den Gegenstand solch großer Leidenschaft zu zeigen: Ein kleines Mädchen von neun Jahren hatte mit Leichtigkeit auf einem Rund aus malvenfarbenen und grauen Mosaiksteinen gesungen und getanzt. Man hätte sie für ein kleines, wildes Tier halten können, herausfordernd und unbezähmbar. Ihre Haare, die einen dunkleren Goldton als ihre Haut aufgewiesen hatten, waren über ein Spitzenmieder gefallen, und in ihrem Rock aus rotem Cretonnestoff war sie prächtig anzusehen gewesen. Eine weiße Maus in der Hand hatte sie die Müßiggänger mit Worten und Schritten bezaubert.
»Schau sie an« , hatte der Große Veyk zu Andin gesagt. » Sie ist wunderbar. Das ist meine beste Schülerin, eine wissbegierigere hatte ich nie. Tag und Nacht habe ich ihr in nur einem Jahr mehr beigebracht als anderen Schülern in drei Jahren. Und ich … ich weiß fast nichts über sie, noch nicht einmal ihren Vornamen. Seit ihrem sechsten Lebensjahr bereist sie die Welten und erlernt in jedem Land, das sie durchquert, eine körperliche oder geistige Kunst. Das ist alles, was ich habe erfahren können. Ich habe ihren Vater nur ein einziges Mal gesehen; er hat sich noch geheimnisvoller als sie gegeben und sein Gesicht verborgen. Er hat mir selbstzufrieden beteuert, dass sie ihrem Land den Frieden zurückbringen würde! Angesichts der Fähigkeiten dieses Kindes kann ich daran auch nicht mehr zweifeln.«
Andins Erinnerungen brandeten immer stärker auf ihn ein, während Nis wieder in Trab fiel. Er war von dem kleinen Mädchen wie gebannt gewesen.
»Sie verlässt mich morgen« , hatte der Waffenmeister bitter hinzugesetzt. » Ihr Vater verlangt von ihr einen letzten Beweis, um herauszufinden, ob das, was ich ihr beigebracht habe, seinen Erwartungen gerecht wird. Es ist ihr gelungen, eine Audienz beim Kaiser der Gänseländer zu erhalten. Sie hat mit ihm gewettet, dass sie ihm seinen Smaragd rauben und heute Abend am Ball in seinem Palast teilnehmen würde. Sie hat sich mit Bravour des erstens Teils dieser Aufgabe entledigt. Die Wachen sind wie wahnsinnig, und sie tanzt schon in aller Dreistigkeit auf dem Hauptplatz! Ich bin stolz auf sie … Fühlst du dich in der Lage, in diesem kleinen Raum hier ihr Nachfolger zu werden, mein Junge? Du hast zwei Trümpfe mehr in der Hand als sie: Du bist älter, und du wirst immer mehr Kraft haben, weil du einst zum Mann werden wirst. Aber wirst du auch genauso viel Entschlossenheit und Disziplin aufbringen?«
Nein. Andin verfügte nicht über dieselbe Beständigkeit und Unerbittlichkeit, aber die Beherrschung des Waffenhandwerks lag in der Familie: Der Große Veyk war genauso stolz darauf gewesen, ihm seine Kunst mit Leidenschaft und Erfolg weiterzugeben – ausgenommen vielleicht, was die Weisheit anging …
War es möglich, dass dieses Kind zu der jungen Frau herangewachsen war, die er gerade gerettet hatte? Andin zweifelte daran: Er konnte sich nicht erinnern, zuvor schon einmal solche Augen gesehen zu haben. Er versuchte, das kindliche Gesicht mit größerer Genauigkeit wieder vor sich zu sehen.
Kurz nach seinem Gespräch mit Meister Veyk waren Soldaten auf dem Platz eingetroffen, bewaffnet mit Hellebarden und Piken. Andin sah wieder vor sich, wie das kleine Mädchen ihnen voller Geschmeidigkeit zwischen den Fingern hindurchgeschlüpft war. Sie hatte so gelacht! Mit wenigen Sprüngen war sie auf die Dächer gestiegen und hatte die Soldaten weiter verhöhnt, während sie über die malvenfarbenen, überlappenden Dachziegel
Weitere Kostenlose Bücher