Die Rebellin von Leiland 2: Das Gift des Herzogs (German Edition)
Tropfen in ein großes, rundes Auffanggefäß zu laufen. Die Grundstoffe, aus denen er seinen Blendrauch herstellte, würden morgen fertig sein. Darum machte er sich keinerlei Sorgen. Was ihn die roten Brauen zusammenziehen ließ, war vielmehr das Gespräch, das beim Essen stattgefunden hatte. Elea verheimlichte etwas Entscheidendes, das spürte er. Eine Tatsache, die weit wichtiger war als ihre Identität.
Ein leises Rascheln riss ihn aus seinen Gedanken. Er drehte sich um, aber es stand niemand vor den mit Flaschen überladenen Regalen. Zumindest nicht aufrecht, denn hinter den Fässern, die auf dem Boden standen, ragte eine kleine Fußspitze hervor, die er gut kannte. Er lächelte.
» Chloe, solltest du nicht um diese Zeit im Bett sein?«
Das kleine Mädchen richtete sich auf und biss sich auf die Lippen. Ihre großen, goldenen Augen flehten um Verzeihung, die schon längst gewährt war.
» Ich kann nicht schlafen«, sagte sie mit klarem, ruhigem Stimmchen.
Erwan bückte sich und streckte ihr die Arme hin. Breit lächelnd kam sie zu ihm gelaufen und ließ sich auf seinen Schoß ziehen.
» Und was hindert dich daran, schön zu träumen, mein Engel?«, fragte er und strich seiner Tochter mit der Hand durchs kupferrote Haar.
Sie antwortete nicht, sondern schien plötzlich mit dem Strömen der Flüssigkeit durch die Glasgefäße beschäftigt zu sein.
» Die Herstellung dieser Mittel macht dir Sorgen?«
Sie wandte ihm die großen Augen zu und nickte leicht mit dem Kopf.
» Wie schadet das den Scylen?«, fragte sie und betonte deutlich die Worte, die für jemanden in ihrem Alter noch schwer auszusprechen waren. Es war das erste Mal, dass Erwan sie eine Frage stellen hörte. Er hatte es immer erstaunlich gefunden, dass Chloe nie nach irgendetwas fragte, zum Beispiel weder nach der Herkunft ihrer Eltern noch nach ihrer Vergangenheit oder danach, wie sie sich kennengelernt hatten. Aber er hatte bis jetzt gedacht, dass sie noch zu klein sei, um sich dafür zu interessieren. Sie wusste vermutlich noch nicht einmal, dass sie zur Hälfte Scylin war. Erwan freute sich zu sehen, dass ihr Geist sich endlich dem Leben öffnete, das sie umgab.
» Der Rauch verbrennt ihnen die Augen.«
Chloe runzelte die Stirn und Erwan konnte in ihrem Gesicht Furcht lesen.
» Mach dir keine Sorgen, mein Engel. Das ist ein Rauch, der nur Scylenmännern etwas anhaben kann. Er stört die Verbindung zwischen Auge und Gehirn. Bei einem normalen Menschen kann er allenfalls ein leichtes Prickeln hervorrufen. Da die Krieger aus den Ungewöhnlichen Landen über eine Sehkraft verfügen, die unserer mindestens tausendfach überlegen ist, steigert sich das Unbehagen bei ihnen bis zur Verbrennung.«
Das kleine Mädchen wirkte nicht sehr beruhigt. » Sie werden nie wieder etwas sehen?«
» Leider glaube ich, dass mein Rauch nur eine zeitlich begrenzte Wirkung hat. Ich konnte bisher nur einen Versuch machen, deshalb konnte ich noch nicht die richtige Dosis ermitteln. Aber ich habe durchaus die Absicht, ihnen letztendlich diese dämonische Kraft zu nehmen.«
Das kleine Mädchen senkte den Blick und schien von diesem letzten Satz sehr betroffen zu sein. Erwan war einen Moment lang verlegen: Er empfand ihr Schweigen wie eine Verurteilung. Mit Gyls Tod und der Ankunft der Scylen hatte er seinen friedfertigen Idealismus verloren. Einst hatte er gekämpft, um Victoria zu unterstützen, doch nun war er zu einem persönlichen Rachefeldzug übergegangen. Jetzt erkannte er, dass ein Wort seiner Tochter ausreichen mochte, um ihn seine Experimente und seine kriegerischen Taten aufgeben zu lassen. Er hatte ja auch schon seine Privilegien und sein Vermögen in Akal um Selenes willen zurückgelassen.
» Findest du, dass ich unrecht habe? Dass ich böse bin, weil ich ihnen wehtue?«, fragte er.
» Nein, Papa«, antwortete sie. » Ich weiß, dass Gyl mich ihretwegen nie mehr besuchen wird.«
Erwan strich seiner Tochter mit der Hand über das Gesicht, zugleich erleichtert und betrübt, dass sie es verstand. Es war für ihn eine Frage der Ehre, den Skalp seines Freunds aus Muhts Umhang zurückzuholen. Gyl hatte einen solchen Tod nicht verdient. Er war ein zu einfältiger, zu großmütiger, zu sorgloser Mann gewesen, selbst mitten im Kampf. Er und seine Familie hätten nicht diesen Preis für ihre Hilfe zahlen sollen.
» Woher weißt du, dass diese Mittel den Scylen wehtun?«, fuhr Chloe mit gerunzelter Stirn fort.
Das Bild des mageren, gutmütigen Mannes
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