Die Rebellin von Leiland 2: Das Gift des Herzogs (German Edition)
Licht aufflammte. Hastig kletterte sie auf die obere Kante der steinernen Fensterumfassung und ignorierte dabei ihre Muskelschmerzen. Was sie befürchtet hatte, geschah: Das Fenster öffnete sich.
Von ihren Amalysen wie gekreuzigt an die Wandfläche geheftet hielt Elea atemlos mit den Fingerspitzen das Seil, das unter ihr hing, vom Fenster weg. Sie sah geradeaus und erahnte die Gartenflächen, die Umfassungsmauer und die Klippe des Verbotenen Waldes. Sie dachte an Andin: Sie liebte ihn.
Die junge Frau spürte, wie ein leichter Luftzug ihr die Lippen liebkoste, gleich einem Finger, der daraufgelegt wurde, um zum Schweigen zu mahnen. Von weitem wirkte sie wie ein kleiner, schwarzer Fleck, der sich von der weißen Mauer abhob. Als sie die Augen schloss, fühlte sie sich plötzlich vom Wahnsinn der letzten beiden Stunden übermannt. Sie hörte ein pochendes Geräusch auf dem Stein unter sich; dann schloss das Fenster sich wieder.
Elea öffnete die Augen, ohne es glauben zu können. Die Person hatte sie nicht gesehen, sondern nur ihre Pfeife auf dem Fensterbrett ausgeklopft. Der Tabakgeruch stieg bis zu ihr auf. Auch leise Musik drang bis zu ihr. Elea glaubte erst, es sei ihr Herz, das Siegesjubel anstimmte, aber in Wirklichkeit spielte jemand über ihr Harfe.
Eline!
Geleitet vom leisen Summen einer angenehmen Stimme kletterte Elea die letzten paar Fuß hinauf, die sie von Eline trennten. Die junge Frau achtete plötzlich nicht mehr auf ihre Erschöpfung und vergaß alle Angst, die sie hatte ausstehen müssen, um bis hierher zu gelangen.
Elea schob behutsam die noch immer brennende Kerze beiseite, um sich hinzusetzen und lautlos die Beine ins Zimmer zu schwingen.
Der Raum war ockergelb gestrichen und angenehm vom Duft eines Blumenstraußes erfüllt. Eline wandte ihr den Rücken zu und beendete gerade ihr Lied. Sie saß auf einem Schemel vor ihrer Harfe; ihr weiter, silberbesetzter Hausmantel floss über den Teppich. Elines kastanienbraune Haare, die von einem einfachen Stirnband gehalten wurden, fielen ihr über den Rücken. Glänzend und seidig bildeten sie ein beinahe endloses Band.
Ihre Finger hatten die letzten Töne auf den Saiten gezupft. Die Welle der Musik rief ein schwaches Echo in dem großen, hellen, üppig eingerichteten Zimmer hervor.
» Ich trage keinen Schleier«, verkündete Eline leise.
Elea schob sich die Amalyse in die Stirn und nahm ihr Tuch ab.
» Ich trage auch keine Maske«, antwortete sie ihr.
» Dem Gesetz nach wird jeder, der mein Gesicht sieht, mit dem Tode bestraft, bis auf meine Schwester und meine Anstandsdame«, fuhr Eline fort, ohne sich umzudrehen.
» Der Hof wirft mir zahlreiche Verbrechen vor– aber für dieses eine könnte er mich niemals hinrichten.«
» Du bist weder Elisa noch Mistra. Nur eine dritte Person könnte den Anspruch erheben, den du erhebst. Dazu müsstest du Elea heißen, aus königlichem Blut unter einem Regen aus Sternschnuppen geboren sein– und zur Sommersonnenwende müsste dein Tod sich zum achtzehnten Mal jähren.«
» Ich heiße Elea. Ich bin eine Tochter des Königs. Die Sterne der Nacht meiner Geburt funkeln noch immer in meinen Augen– und in einem Monat jährt sich meine Geburt zum achtzehnten Mal.«
Schweigen trat ein. Prinzessin Eline drehte sich um.
Ihr Gesicht war frisch wie der Morgen und verriet nicht mehr als neunzehn Jahre. Keine widerspenstige Haarsträhne störte ihre perlmuttfarbene Haut, die ohne den geringsten Makel war. Sie war perfekt wie eine Statuette. Das rosige Schimmern der schmalen Perlenkette an ihrem Hals harmonierte mit der sanften Farbe ihrer Wangen. Die Diamantringe und der große, blaue Saphir der Königin an ihren Fingern funkelten wie ihre Augen.
Elea konnte kaum glauben, dass sie eine solche Schwester hatte. Eline verfügte über die unvergleichliche Schönheit einer Traumprinzessin.
Dennoch war die Ähnlichkeit der Gesichter der beiden jungen Frauen nicht zu leugnen: Sie war frappierend. Mit ihrer hellen Haut, ihrem kastanienbraunen Haar und ihren himmelblauen Augen hatte Eline das kontrastreichere Gesicht. Aber gerade die Sonnenstrahlen, die sich in Eleas Haar und auf ihrer Haut widerspiegelten, gefielen der Prinzessin. Ihre kleine Schwester hatte einen Hauch von Wildheit, über den sie selbst nie verfügen würde, und ein leichter Widerspruchsgeist, der Eline immer fehlen würde, belebte ihren Körper.
Wie eine Porzellan- und eine Wachspuppe schwiegen sie sich einen Moment lang an. Dann erkannten ihre
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