Die Rebellin von Leiland 2: Das Gift des Herzogs (German Edition)
… Elea beeilte sich und huschte die Stufen so lautlos wie eine Katze empor. Plötzlich blieb sie abrupt stehen; sie hörte Schritte und Stimmen. Wachen näherten sich von oben.
Sie drehte sich um. Hinunter konnte sie nicht wieder. Ihr Blick streifte eine zu kleine Nische und hob sich dann zur Decke des Stockwerks. Ohne Zögern stieß sie sich ab, warf ihre Amalysen an einen dicken Balken und zog sich rasch hinauf. Ausgestreckt und so eng an die Decke geschmiegt, als wolle sie mit den Holzfasern verschmelzen, sah sie vier Männer herunterkommen. Sie redeten laut. Es ging hoch her: ein Streit um eine untreue Dienerin. Für einige Augenblicke blieben sie unter Elea stehen und zogen beinahe die Dolche; dann setzten sie ihren Weg aber fort und beschränkten sich auf angriffslustige Reden.
Nachdem sie ihre Amalysen ein Dutzend Mal gestreichelt hatte, sprang Elea vom Balken und setzte ihren Weg nach oben fort.
Im folgenden Stockwerk ging das Fenster zum Prinzessinnenturm hinaus. Die Kerze war nur noch drei Geschosse entfernt. Elea lächelte: Ihr Herz jubelte schon im Voraus. Die Türme waren durch Schwibbögen miteinander verbunden und nahe genug beieinander, so dass Elea leicht würde hinübergelangen können, wenn sie sich der Querbalken zwischen den Spitzdächern bediente.
Sie stieg noch einige Stufen hinauf, um zum nächsten Treppenabsatz zu gelangen. Ohne es zu wissen, erreichte sie so das oberste Geschoss des Wachturms. Aber auf sie wartete noch eine ernstere Überraschung als diese schlechte Nachricht.
» Scheint ja nicht gerade dankbar für das zu sein, was du ihm bietest, dein Vogel«, sagte ein Mann in der Dachstube.
Elea versteckte sich hinter einem Pfeiler und wagte es, einen Blick in den Raum zu werfen. Drei Männer befanden sich in einem Zimmer, das dem im Erdgeschoss ähnelte. Einer von ihnen, der einen Schnurrbart trug, stand am Fenster. Ein anderer saß halb eingeschlafen auf dem Tisch, während der dritte, der kaum ein Kinn hatte, sich nahe der Treppen fallen gelassen hatte.
» Hab’ doch nur das für dich, kleine Schwalbe«, verkündete der Bärtige und streute Brotkrumen aufs Fensterbrett. » Sag mal, du bist aber auch anspruchsvoll. Geschichten sind dir lieber, nicht wahr?«
» Nun fang doch nicht schon wieder damit an!«, protestierte der kinnlose Wachsoldat in Eleas Nähe. » Bist du verrückt, oder was? Was hat dieser Vogel in deinem Leben zu suchen?«
» Na, er wirkt doch, als ob er zuhört– das ist alles«, verteidigte sich der Bärtige. » Und sieht doch so aus, als ob ihm das gefällt, weil er fast jeden Abend kommt. Das ist keine Berechnung– er verlangt ja noch nicht einmal etwas zu futtern!«
» Oh, bei den Gottheiten des Lebens!«, rief sein Kamerad, bestürzt über diese Antwort.
Derselbe Schrei war Elea durch den Kopf gehallt. Ihr Blick war angesichts der Schwalbe eiskalt geworden. Diese gelben Augen im Fackelschein hätte sie unter Tausenden erkannt: Joran!
Mit panischer Miene drehte sie sich zur Treppe um. Sie hatte immer angenommen, dass Joran sich darauf beschränkte, Kortas Gemächer aufzusuchen. Sie hatte durchaus an die Möglichkeit gedacht, heute Nacht dem Herzog oder gar Muht zu begegnen, wie Andin es befürchtet hatte, aber sie hätte nie damit gerechnet, ihrem Lehrmeister über den Weg zu laufen!
Langsam stieg sie in das darunterliegende Stockwerk hinab. Sie musste sich beruhigen; sie hatte nichts zu befürchten. Das Fenster des Raumes ging jedenfalls auf die andere Seite des Turms hinaus, sie hätte Elines Turm also gar nicht auf dem Wege erreichen können. Und weder die Wachen noch Joran würden sehen können, wenn sie auf dieser Seite hinaufkletterte. Die junge Frau hatte von Anfang an mit dem Feuer gespielt; Joran war nur ein zusätzlicher Funke. Sie musste nur vorsichtig genug sein, um sich nicht zu verbrennen.
Sie zog sich auf das Fensterbrett, an dem sie vorhin vorbeigekommen war, und sah zum Zimmer der Prinzessin hinüber, das so schwierig zu erreichen war. Es waren noch immer drei Stockwerke, aber dort, wo Elea sich befand, führte ein Schwibbogen über die Leere und verband die beiden Türme.
Dieser Steinarm– einen Fuß breit und dreißig lang– bildete die einzige Lösung.
Elea ließ sich auf seinen Ausgangspunkt gleiten und sah sich um. Hundertachtzig Fuß trennten sie vom Boden, und es gab ringsum nichts in Reichweite der Amalysen. Die junge Frau holte tief Luft und starrte die Mauer gegenüber an, die sie erreichen wollte. Sie musste die
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