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Die Rebellin

Die Rebellin

Titel: Die Rebellin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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zu machen«, rief sie.
    Murmeln ging durch den Saal, vereinzelte »Niemals!«-Schreie waren hörbar und »Freiheit oder Tod«. Plötzlich erklang der alte Schlachtruf: »Du voran, Mando, wir folgen!«
    Das war Musik in ihren Ohren. Sie stand auf und verbeugte sich leicht. Es war wieder fast so wie in alten Zeiten und wären in diesem Augenblick Türken auf die Idee gekommen, das Felseneiland in der Ägäis zu bedrohen, hätte Mando zweifellos wieder zum Schwert gegriffen.
    Wie schon vor Jahren forderte sie die Mykoniaten auf ihre Börsen zu öffnen und diejenigen auf dem Festland zu unterstützen, die ihr Leben beim Kampf um die Freiheit aufs Spiel setzten. Sie wies wieder darauf hin, dass es nicht mehr lange dauern könnte, bis die Großmächte sich militärisch offiziell einschalten würden. Sie hatte sich für ihren Auftritt vorbereitet und einen Text von Chateaubriand – Satobriant, wie Pappas Mavros zu sagen pflegte – ins Griechische übersetzt und die Deklamation zu Hause geübt. Es war mucksmäuschenstill im Saal, als sie den Text vorlas:
    »Wird unser Jahrhundert tatenlos zusehen, wie Horden von Wilden eine Kultur im selben Augenblick auslöschen, in dem sie sich anschickt aus dem Grab derer aufzuerstehen, die einst die Welt zivilisierten? Wird das Christentum seelenruhig zulassen, wie Türken Christen erwürgen? Und können die rechtmäßigen Monarchen Europas schamlos gestatten, dass ihr gesalbter Name eine Tyrannei ziert, die mit dem von ihr vergossenen Blut den Tiber röten könnte?«
    Mit leicht gerötetem Gesicht blickte sie hoch. Marcus nickte ihr aufmunternd zu.
    Sie hatte es wieder geschafft, die Menschen zu begeistern.
    Als Verlobte von Ypsilanti hatte man sie zu dem Treffen gebeten, aber als Freiheitsheldin, die Mykonos vor dem Untergang bewahrt hatte, verließ sie den Saal. Der Auftritt hatte ihr gut getan. Sie merkte, wie alle Lebensgeister wieder in sie zurückströmten, und sie schwor sich, nie wieder von einer tiefen Melancholie befallen zu werden.
    »Komm, wir erobern die Welt«, rief sie noch am selben Abend Marcus zu und forderte ihn auf, sein Pferd zu besteigen. »Wir fangen mit Kalo Livadi an«, setzte sie spitzbübisch hinzu.
    Obwohl er froh war, sie wieder bei Laune zu sehen, ging ihm ihre Wandlung etwas zu schnell. Gestern befand sie sich in der Unterwelt, heute ist sie wieder im Olymp, dachte er, und mich zieht sie, immer, wie es ihr gerade passt, entweder nach unten oder nach oben. Und ich lasse es mir gefallen, weil mein Leben ohne Mando keinen Sinn hat.
    Er wusste, dass auf der Insel über ihn gemunkelt wurde. Nicht im Zusammenhang mit Mando, denn er spielte in Abwesenheit der Brüder ja nicht nur die Rolle des Beschützers, sondern war auch ihr von Dimitri Ypsilanti persönlich benannter Adjutant. Das machte ihn über jeden Verdacht erhaben.
    Aber seine Mutter, Tanten und Schwestern fanden es seltsam, dass er sich überhaupt nicht für Mädchen zu interessieren schien, was für die jungen Damen der Insel höchst bedauerlich war, da er einer der wenigen guten Familien angehörte, die im Krieg nicht ins Ausland verschwunden waren. Marcus' Mutter legte ihm regelmäßig ein Basilikumsträußchen unters Kissen, in der Hoffnung, das Königskraut werde seine Wirkung tun und das steinerne Herz ihres Sohnes für ein hübsches, nachgiebiges und wohlerzogenes Mädchen erweichen. Die halboffiziellen Heiratsvermittlerinnen und Kupplerinnen hatten es aufgegeben, bei ihm anzuklopfen. Inzwischen hatte er sich den Ruf eines Sonderlings erworben, der nur bei einigen älteren männlichen Verwandten auf Verständnis stoßen konnte.
    »Ich habe auch erst mit fünfzig geheiratet«, brüstete sich ein Onkel, »ein Mädchen von zwanzig. Als ich dreißig war, habe ich sie bereits in der Wiege bewundert, und jetzt bin ich alt, habe aber eine Frau, um die mich viel jüngere Männer beneiden. Lasst den Jungen also in Ruhe!«
    Mando entschloss sich zu einem Besuch auf Tinos, um Pappas Mavros und ihre Schwester wieder zu sehen. Aus Angst vor Fragen nach dem grünen Kasten hatte sie die Reise bisher nicht gewagt, aber jetzt stand kein Hindernis mehr im Weg.
    Es wurde jedoch ein sehr trauriger Aufenthalt, denn Irini lag im Sterben.
    Ein zweites Mal schaffte es die wundertätige Ikone nicht, sie von der Malaria zu heilen, und wie so viele Menschen jener Zeit fragte sich auch Mando verzweifelt, was diese Krankheit, die so viele ihrer Landsleute dahinraffte, verursachte. Es gab darüber alle mögliche

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