Die Rebellin
er doch die wundertätige Ikone von der Panagia hatte! Der heilige Mann meinte, du solltest damit tun, was du für richtig hältst.«
Zum ersten Mal seit Wochen brach Mando in Gelächter aus.
»Warum hast du mir dann vorgelogen, dass du sie gestohlen hast?«
Gestohlen habe ich sie schon öfter, dachte Vassiliki, nur eben nicht in Tinos.
»Dein Leben war so langweilig geworden, da wollte ich dir eine spannende Geschichte erzählen.«
Mando dachte später oft daran, wie seltsam es war, dass so eine Banalität wie Vassilikis unnötige Lüge es geschafft hatte, die Erstarrung zu lösen, die sich in ihr breit gemacht hatte. Wie ein einziger Tropfen das Fass zum Überlaufen bringen kann, so gibt es auch immer einen letzten, der es voll macht. Nun reicht es, sagte sie zu sich selber, ich wollte nie eine Eremitin werden, und es wird Zeit, dass ich wieder unter Menschen komme. Allmählich kehrte ihr Lebenswille zurück und sie begann sich auf die Besuche ihres Cousins zu freuen.
Als er eine Woche später einen Ausritt nach Kalo Livadi vorschlug, war sie einverstanden. In der Hütte, die er mit seinen eigenen Händen gebaut hatte, fanden sie wieder zueinander und alle Anspannungen der vergangenen Monate fielen von Mando ab. Obwohl das Wasser eiskalt war, schwamm sie zusammen mit Marcus im Meer, lief nackt mit ihm über den Strand und fühlte sich wieder wie ein junges Mädchen. An einem Vollmondabend bestand sie darauf, in der Hütte zu übernachten und bat ihn, sie zum Schwimmen an den Strand zu begleiten. Sie sehnte sich danach, wieder zu tanzen, aber die Yaludes ließen sich zu ihrer Enttäuschung nicht blicken. Wahrscheinlich war es ihnen zu kalt.
Sie nahm auch wieder am gesellschaftlichen Leben in Mykonos teil. Als der Ältestenrat sie bat einen Vortrag über die jüngsten politischen Entwicklungen zu halten, sagte sie zu. Sie wusste, dass sie nicht als Heldin von Mykonos mit dieser Aufgabe betraut worden war, sondern als Verlobte von Dimitri Ypsilanti. Man ging davon aus, dass sie der Prinz auf dem Laufenden hielt, aber das war ihr egal. Sie lebte wieder in Frieden mit sich und Nauplia befand sich am anderen Ende der Welt. Sie erhielt keine Nachrichten von Dimitri und dachte nicht daran, ihm selber welche zu senden.
Sie zog viele Blicke auf sich, als sie den Saal betrat, in dem sich vor vielen Jahren die Honoratioren der Insel versammelt und in dem Jakinthos seinen Heiratsantrag gemacht hatte.
Hätte ich ihn nur erhört, dachte sie jetzt, dann wäre mir viel erspart geblieben. Allerdings konnte sie sich nicht vorstellen, dass sie ihren schönen Adjutanten mit Marcus betrogen hätte. Aber damals war ihr Jakinthos zu wenig gewesen, sie war stolz wie Hera gewesen und hatte nach der griechischen Königskrone greifen wollen – sinnbildlich gesprochen, verbesserte sich die Republikanerin.
Auch zu den Versammelten im Bürgermeistersaal war durchgedrungen, dass der Krieg jetzt seine schlimmste Phase erreicht hatte. Mando, die sich wunderte, warum die Gebildeten die Bulletins nicht selber lasen, berichtete, dass Ibrahim Pascha dem General Kiutagi, der guten Grund hatte, um seinen Kopf zu fürchten, zu Hilfe geeilt war. Sie beschrieb, wie die Bürger von Missolonghi der Belagerung ein ganzes Jahr standgehalten hatten, und trotz großen Hungers und großer Nöte ihren Widerstand aufrechterhielten. Im Januar hatte Kiutagi zum Beispiel innerhalb von drei Tagen 8.000 Kugeln und Granaten in die Stadt geschossen und immer wieder war er gegen die Festung angerannt.
»Aber am 23. April fiel Missolonghi den Barbaren in die Hände«, sagte Mando. »Alles ist umsonst gewesen.«
Die Tränen stürzten ihr aus den Augen, als sie berichtete, dass fast alle 9.000 Einwohner, Männer, Frauen und Kinder von den eindringenden Horden erbarmungslos niedergemetzelt wurden. Anders als damals in Chios gab es diesmal für die Sklavenhändler keine Beute.
Ohne Aufforderung standen alle Anwesenden auf und ehrten die Opfer mit einer Schweigeminute. Marcus reichte Mando ein Taschentuch, sie sammelte sich und fuhr fort.
»So viele mussten sterben, damit sich ganz Europa endlich empört«, sagte sie bitter, »offensichtlich erreichen nur die Todesschreie von tausenden das Ohr der Welt.«
Sie informierte die Versammelten über das englisch-russische Protokoll, in dem beide Mächte ihre Zustimmung zu einer englischen Vermittlung zwischen Griechen und Türken gaben.
»Mit dem Ziel Griechenland zu einem autonomen Anhängsel des osmanischen Reiches
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