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Die Rebellin

Die Rebellin

Titel: Die Rebellin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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diagnostizierte der Arzt, wiegte das Haupt und empfahl Gebete. Mando war aschfahl geworden. Ihre Zähne klapperten und ihre Knie schlotterten.
    »Ich bin schuld«, wiederholte sie immer wieder. Sie war nicht zu bewegen das Haus des Kranken zu verlassen. Sie schob einen Stuhl an sein Bett und nahm eine Hand des Popen in die ihre.
    »Pappas Nikolas«, flüsterte sie, und auf einmal klang der Name nicht mehr fremd. »Verzeihen Sie mir! Sie müssen mir vergeben. Ich habe nur an mich gedacht. Sie haben mich viel gelehrt, auch unabhängiges Denken. Wie kann ich Ihnen da vorwerfen, an meinem Unglück schuld zu sein? Meine Irrwege habe ich ganz allein eingeschlagen.«
    Tagelang harrte sie an seinem Bett aus und redete zu ihm. Was dem Außenstehenden wie ein Monolog vorkommen musste, wurde für sie zum Gespräch. Obwohl der Pope reglos dalag, erschien es Mando, als ob er seine Gedanken direkt in ihren Kopf transportierte. Für sie war er nicht stumm.
    Als die Nonne Pelagia erstmals ans Bett des Kranken trat, flehte Mando sie an die wundertätige Ikone zu bringen. Die Nonne sprach kein Wort, sondern schüttelte nur den Kopf und sah Mando mitleidig an.
    »Werde wieder gesund!«, flehte Mando den Popen an, bis es in dem stummen Zwiegespräch zu ihr durchdrang, dass er dies nicht wollte. Meine Zeit ist gekommen, verstand sie.
    Er darf noch nicht sterben, dachte sie verzweifelt. Er muss leben! So wie seine Stärke sich einst auf andere übertragen hatte, so könnte jetzt seine Milde ihr, anderen Menschen, dem ganzen Land Kraft geben, diese schrecklichen Zeiten zu überstehen.
    Es ist alles nicht so wichtig, verstand sie, lebe mit dir selbst im Einklang.
    Aber wie konnte sie das? Wer war sie überhaupt?
    Ein Mensch, der liebt.
    Das war nicht genug! Sie hatte Aufgaben.
    Welche?
    Die Frage machte sie betroffen. Was waren jetzt ihre Aufgaben? Ohne Geld konnte sie ihrem Land nicht mehr helfen, ohne Ehemann nicht Frau und Mutter werden. So wenig wie sich die Revolutionäre zu Beginn ihres Aufstandes Gedanken darüber gemacht hatten, wie das Land nach der Befreiung von der Osmanenherrschaft aussehen sollte, so wenig hatte sich Mando über ihre eigene Zukunft den Kopf zerbrochen. Sie hatte nur die unausgegorene Idee, dass sie in einem freien Griechenland eine wichtige Rolle spielen und gleichzeitig ihrer Bestimmung als Frau gerecht werden würde.
    Mach dir keine Vorwürfe. Ein unfreier Mensch weiß nicht, wie Freiheit schmeckt.
    Sie begriff, dass er ihr nicht helfen konnte ihre Zukunft zu gestalten. Den Weg musste sie schon alleine finden. Aber es waren noch so viele Fragen aus der Vergangenheit offen.
    »Warum musste mein Vater sterben?«, fragte sie. »Wer hat ihn getötet?«
    In ihrem Kopf kam keine Antwort an.
    Pappas Mavros starb vier Wochen nach Irini. Einen Monat später erlagen Irinis Zwillinge ebenfalls der Malaria.
    »Warum sterben so viele gute Menschen«, klagte sie weinend, als sie mit Vassiliki wieder nach Mykonos zurückgekehrt war, »und so jemand wie Dimitri Ypsilanti bleibt einfach leben!«
    »Mein Püppchen«, sagte die Dienerin sanft, »begrabe deinen Hass. Er wird dich nur selber zerstören. Er gefährdet deine Liebe. Du solltest nach Nauplia zurückkehren und versuchen mit deinem Prinzen ins Reine zu kommen.«
    »Nie«, fuhr Mando auf, »außerdem ist das jetzt ein ganz ungünstiger Zeitpunkt.«
    Da hatte sie Recht, denn es tobte gerade eine mörderische Schlacht bei Chaidari um die Akropolis von Athen. Kommandant Gouras und 1.500 Rebellen verteidigten die antike Stätte, zwischen deren Trümmern sich fünfhundert Frauen und Kinder versteckt hielten, die bei der Einnahme Athens auf die Akropolis geflüchtet waren. Gouras hatte bisher dem Ansturm der Türken mit vierzehn Kanonen und drei Mörsern Widerstand leisten können, aber jetzt drohte ihm die Munition auszugehen.
    Oberst Fabvier beriet sich mit Ypsilanti und beide beschlossen, das Wagnis einzugehen, die Akropolis mit Nachschub zu versorgen. Sie ließen 530 Freiwillige, darunter auch viele Philhellenen, mit Schiffen in Piräus landen und mit Pulversäcken auf dem Rücken im Dunkel der Nacht die Festung erklimmen. Den türkischen Wachen konnte der Ansturm so vieler Soldaten nicht lange entgehen. Ein Teil der Nachschubtruppe hatte bereits die offenen Tore der Akropolis erreicht, als der Kugelhagel der Türken einsetzte und unzählige Träger zu Boden riss. Explodierende Pulversäcke beleuchteten die Festung die ganze Nacht über und jene Nachschubträger, die noch

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