Die Rebellin
analytischen Verstand beleidigen. Sie hatte gehofft, dass ihr auf der Reise etwas einfallen würde und auch ausführlich mit Vassiliki unterschiedliche Taktiken abgewogen, aber letztendlich hing alles von Dimitris Tagesstimmung ab, von seiner ersten Reaktion. Und die war nicht vorherzusehen.
Sie hatte sich auf dem oberen Treppenabsatz verborgen, als er gegen acht Uhr abends das Haus betrat. Sie hörte eine zweite Männerstimme und wusste nicht, ob sie enttäuscht oder erleichtert sein sollte. Jedenfalls würde ihr Dimitri in Gegenwart eines Gastes keine Szene machen oder sie rüde wegschicken können. Sie würde nie vergessen, wie grob der Prinz sein konnte, wenn er mit ihr allein war.
Sie atmete so tief durch, wie es ihr elegantes Kleid erlaubte, feuchtete mit der Zunge die Lippen an und schwebte die Treppe hinunter. Die Augen des Gastes erfassten sie zuerst.
»Welch eine entzückende Erscheinung!«, rief dieser und verbeugte sich tief. »Mir ist, als ob ich träume! Prinz Dimitri, Sie haben mir da etwas verborgen!«
Ypsilanti verzog keine Miene, als er Mando erkannte. Er trat auf sie zu, begrüßte sie mit einem flüchtigen Kuss auf die Wange, als hätten sie sich erst am Morgen getrennt, nahm sie an der Hand, wobei er ihre Finger etwas zu fest drückte und stellte sie vor.
»Mando, darf ich dir meinen Freund Graf Kapodistrias vorstellen, Graf, dies ist meine Verlobte Mando Mavrojenous.«
»Die Heldin von Mykonos. Meine verehrte Brieffreundin! Ich bin begeistert!« Der Graf deutete einen Handkuss an und betrachtete Mando mit sichtlicher Freude.
»Ich hätte Sie erkennen sollen«, schalt er sich, »aber Friedels Gemälde wird Ihnen nicht gerecht.« Er wandte sich an Ypsilanti.
»Sie sollten ein neues anfertigen lassen, lieber Freund. Und jetzt nehme ich Ihre Einladung zum Abendessen gern an! Ich lasse Kolokotronis eine Nachricht schicken. Im Vertrauen«, jetzt flüsterte er verschwörerisch, »so gern ich den alten Fuchs habe, aber vom Tafeln versteht er erheblich weniger als vom Kämpfen. Und eine schöne Frau wird man an seinem Tisch leider vergeblich suchen.«
Mando konnte ihr Glück kaum fassen. Einer der einflussreichsten Männer der Revolution, der mögliche erste Staatspräsident Griechenlands, sagte ihretwegen ein Abendessen mit dem bedeutendsten General des Landes ab! Aber Dimitris nächste Worte warnten sie sich nicht zu früh zu freuen.
»Ich nehme doch an, dass Sie Kolokotronis' Ehrengast sind«, meinte er, »wir können das Essen in meinem Haus gern an einem der nächsten Tage nachholen.«
Und dann wahrscheinlich ohne mich, dachte Mando grimmig.
»Ich habe eine noch bessere Idee«, rief der Graf, »obwohl, wie ich schon sagte, die Speisen nicht jedem zusagen, aber es ist immer von allem reichlich vorhanden. Sie beide begleiten mich zu dem Bankett.«
»Ausgeschlossen«, sagte Dimitri, »das würde jedem Protokoll widersprechen.«
Graf Kapodistrias zeigte ein feines Lächeln. Ein wirklich schöner Italiener, dachte Mando bewundernd, und dabei ist er schon fast sechzig!
»Das Protokoll«, meinte jetzt der Graf, »bin ich. Und ich fordere Sie beide auf mich zu begleiten.«
Auf diesem Parkett konnte Mando nichts falsch machen. Dass sie sich schon seit langem nicht mehr in illustrer Gesellschaft bewegt hatte, wäre selbst einem so wachen Auge wie dem Dimitris entgangen, wenn er es nicht besser gewusst hätte.
General Kolokotronis war hingerissen, dass Kapodistrias nicht nur seinen Freund und Mitkämpfer Ypsilanti mitgebracht hatte, sondern auch dessen reizende Verlobte. Obwohl der alte Klephtenchef auch den Grafen als einen Freund schätzen gelernt hatte, kam er sich in Gegenwart des weltgewandten Diplomaten etwas linkisch vor und kompensierte dies durch noch mehr Ruppigkeit. Normalerweise interessierte es den betagten Recken nicht, dass ihm der Schliff fehlte. Hätte er nämlich solchen gehabt, wäre er wohl kaum der geliebte Anführer der Rebellentruppe gewesen, die die Waffen niedergelegt hatte, als ihn seine politischen Gegner auf Hydra ins Gefängnis geworfen hatten. Er war ein Mann des Volkes. Dieses erwartete durch ihn vertreten zu werden und nicht durch europäische Aristokraten, die ein anderes Griechisch sprachen und sich mehr für ihre Pfründe als für den einfachen Mann interessierten. Weil er dies wusste und nicht nach getaner Kampfesarbeit von den Politikern in die Ecke gestellt werden wollte, setzte sich der markante Krieger gelegentlich eben diesen verhassten offiziellen
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