Die Rebellin
Veranstaltungen aus. Ypsilanti war für ihn so etwas wie die Brücke zwischen dem Volk und der Oberschicht und dessen Verlobte, Mando Mavrojenous, war einer der wichtigen Pfeiler dieser Brücke.
Kolokotronis bestand darauf, neben Mando zu sitzen. Er begrüßte sie wie einen Mann mit einem kräftigen Handschlag.
Sie schmunzelte, entzog ihm die Hand, hielt sie an die Stirn und salutierte vor dem General.
Er lachte breit. »Natürlich, Generalleutnant«, sagte er zu ihr und schob ihr den Stuhl hin, »Sie sind in mehrfacher Hinsicht eine Zierde unserer Armee! Aber«, er rückte seinen Stuhl näher zu ihr hin und legte ihr einen Arm um die Schulter, »aber am meisten bewundere ich, wie Sie in der Lage sind auch das einfache Volk zu begeistern.«
»Das sagen gerade Sie!«, meinte sie lächelnd.
»Eben! Ich weiß, was es bedeutet, sich oben unbeliebt zu machen, um unten was zu erreichen.«
Während des Abendessens vergaß Mando, was sie nach Nauplia geführt hatte. Sie wurde von Kolokotronis völlig in Beschlag genommen, der darauf bestand, ihr seine ganze Lebensgeschichte zu erzählen. Sie erfuhr, dass er unter einem Baum geboren wurde, als sich seine Mutter auf der Flucht vor den Türken befand. Er hatte als Zehnjähriger mit eigenen Augen ansehen müssen, wie sein Vater von den Türken getötet wurde.
»Wie müssen Sie die Türken hassen«, meinte Mando nachdenklich.
Er schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er, »Hass richtet sich immer auf einzelne Menschen. Man kann ein ganzes Volk nicht hassen, und die Türken schon gar nicht.«
Mando sah ihn verwundert an. Er fuhr fort: »Vierhundert Jahre sind sie in unserem Land und da konnte es gar nicht ausbleiben, dass wir uns mit ihnen vermischt haben. Kein Volk der Erde ist uns ähnlicher als das der Türken …«
»Aber es sind keine Christen«, warf sie ein.
»Wie christlich sind denn wir?«, fragte er bitter. »Wie sehr lieben wir denn unseren Feind? Sie haben doch selber erlebt, Generalleutnant, dass in diesem Krieg nicht nur die Muslime Grausamkeiten begangen haben, obwohl ich zugeben muss, dass Ibrahim Pascha Gewalttätigkeit zur Kunst erhoben hat. Aber der einfache Soldat, der unter dem Halbmond kämpft, hat das gleiche Gesicht und das gleiche Herz, wie der, der hinter unserer blauweißen Fahne hermarschiert.«
»Wenn Sie so denken, wie können Sie dann Ihre Waffe auf einen Türken richten?«
»Weil ich für mein Recht kämpfe und er den Auftrag hat, es mir nicht zuzugestehen.«
Nach dem Bankett bestand Kapodistrias darauf, Mando und Ypsilanti zu ihrem Haus zurückzubegleiten.
»Sie haben einen geradezu magischen Eindruck auf unseren obersten Kriegsherrn gemacht«, lobte er Mando, »niemand kann sich erinnern, dass er sich jemals so intensiv mit einer Frau unterhalten hat, nicht einmal mit Bobolina!«
»Er ist ein ganz großer Mann«, sagte Mando nachdenklich, »ein Patriot mit Weitsicht, ein Krieger mit Herz, aber ob ihm unser Land das danken wird?«
»Wer Dank erwartet, wird meistens enttäuscht«, mischte sich Dimitri in das Gespräch und wendete sich zum ersten Mal direkt an Mando: »Hat er dich eigentlich gefragt, wo du während der Kämpfe des letzten Jahres gesteckt hast?«
»Darüber haben wir nicht gesprochen«, erwiderte Mando freundlich. Ihr war wieder eingefallen, was sie in Nauplia suchte, und sie nahm sich vor jeder Provokation Dimitris mit Liebenswürdigkeit zu begegnen.
Der schwerste Moment kam, nachdem sich Kapodistrias verabschiedet hatte, und sich die beiden Verlobten im Salon zum ersten Mal allein gegenüberstanden.
Dimitri ließ sofort alle Höflichkeit fahren, packte Mando bei den Schultern und fragte grob: »Was willst du hier?«
Sie ließ sich ein wenig schütteln, senkte den Blick und flüsterte: »Ich habe nachgedacht.«
»Du willst also die Verlobung lösen«, sagte er befriedigt und ließ sie los.
»Nein«, hauchte sie und sah ihn mit tränengefüllten Augen an.
»Mach dich nicht lächerlich!«, rief er. »Du willst mir doch nicht erzählen, dass du plötzlich von Liebe zu mir ergriffen bist! Dass du es nach so vielen Monaten ohne mich nicht mehr aushalten konntest! Nein, Mando, ich kenne dich zu gut. Du bist gekommen, um mir den grünen Kasten wieder abzunehmen!«
Sie starrte ihn sprachlos an. An den grünen Kasten hatte sie überhaupt nicht mehr gedacht. Sie hatte ein viel größeres Problem.
»Du kannst den grünen Kasten haben«, sagte sie langsam und wischte sich die Augen, »wenn du mich nur wieder
Weitere Kostenlose Bücher