Die Rebellin
und wie gut, dass der Onkel daran gedacht hatte.
Gerührt stand sie später vor Irinis Bett und betrachtete die zwei kleinen völlig in weiße Binden eingewickelten Neffen.
»Alle Finger sind vorhanden«, lächelte ihr Irini zu und reichte ihr eines der Bündel.
»Warum sind auch die Arme eingewickelt?«, fragte Mando und blickte in das zerknautschte Gesicht eines ihrer Neffen. »Ich könnte mir vorstellen, dass so ein Geschöpf nach langem Aufenthalt in enger Behausung seine Arme ein bisschen ausstrecken will.«
»Eben das will es nicht«, mischte sich Vassiliki ein, die Irini eine Tasse Tee brachte, »Säuglinge fühlen sich geborgener, wenn die Arme eng am Körper anliegen.«
»Hat man mich auch so eingewickelt?«, wandte sich Mando an die Dienerin.
Vassiliki lachte.
»Nein, obwohl es dir sicher gut getan hätte. Du hast immer wie eine Wilde gestrampelt, aber deine Mutter hielt damals nicht viel von griechischen Gepflogenheiten.«
»Bäuerliche Gebräuche waren bei uns nicht üblich«, mischte sich jetzt auch Zakarati ein, die auf einem Stühlchen neben dem Bett saß. »Ich bin entsetzt, dass deine Schwester nicht nur die Kinder selber stillen will, sondern es auch ablehnt, ein Kindermädchen einzustellen.«
»Mama«, lächelte Irini sanft. »Tinos ist nicht Triest. Ich würde hier als Rabenmutter gelten, wenn ich meine Kinder Fremden anvertraute. Und Antonis würde auf der Insel sein Gesicht verlieren, wenn man mir nachsagte, dass ich meine Kinder vernachlässigte.«
»Ihr seid doch auch nicht vernachlässigt worden«, empörte sich Zakarati, »und ihr wusstet zu allen Zeiten, dass eure Mutter eine Dame war.«
Ja, dachte Mando, das war wirklich von großer Bedeutung für uns. Aber um Irini nicht wieder in die Rolle der Vermittlerin zu drängen, hielt sie den Mund. Bevor sie den Säugling ihrer Schwester zurückgab, spuckte sie dreimal über seine linke Schulter.
Pappas Mavros war nicht allein, als Mando wenig später bei ihm anklopfte. Eine schwarz gekleidete, verschleierte Frau erhob sich, als Mando eintrat, nickte dem Popen zu und huschte zur Tür hinaus, ohne die neue Besucherin zu begrüßen.
»Das war eine Heilige«, erklärte Pappas Mavros, »jedenfalls so weit Lebende heilig sein können. Unsere Nonne Pelagia. Sie hat Visionen und du kannst darüber lachen, aber ihre Vorhersagen treffen immer ein.«
»Was hat sie Ihnen denn prophezeit?«, erkundigte sich Mando.
»In ihren Träumen erscheint ihr die Mutter Gottes. Sie gibt ihr Anweisungen, wie sie Kranke zu behandeln habe und Fehlende auf den Pfad der Tugend zurückbringen könne. Sie teilt ihr auch mit, wie es den Seeleuten und Händlern fern der Heimat ergeht, wer dem Tode geweiht ist, wer wieder gesund werden wird und wovor man sich schützen muss. Vergangene Nacht ist die Panagia – die Mutter Gottes – ihr wieder erschienen, diesmal aber, um sich zu verabschieden. Pelagia ist darüber sehr verstört.«
Mando bekreuzigte sich.
»Hat die Nonne ihr Missfallen erregt?«
»Das glaube ich nicht. Die Panagia hat ihr mitgeteilt, dass sie ihr erst in vier Jahren wieder erscheinen werde. Sie werde ihr dann den wichtigsten Auftrag ihres Lebens erteilen.«
»Warum erst in vier Jahren?«
»Pelagia soll sich von jetzt an ausschließlich auf diesen Auftrag vorbereiten. Das bedeutet, dass sie ihr segensreiches Werk unter den Menschen nicht mehr fortsetzen darf. Sie muss sich in ihre Klosterzelle zurückziehen, ein Schweigegelübde ablegen und auf den Auftrag der Panagia warten.«
»Alles nur wegen eines Traumes?«, fragte Mando ungläubig.
»Mein liebes Kind, unterschätze die Kraft von Träumen nicht.«
»Aber wenn ihr die Panagia doch wieder erscheinen sollte?«
»Das wird sie nicht«, sagte Pappas Mavros, »ich habe dir doch gesagt, dass Pelagias Träume immer in Erfüllung gehen.«
»Wäre es mit meinen doch auch so«, meinte Mando nachdenklich.
»Du denkst jetzt an Wunschträume. Hast du denn welche?«
»Freiheit!«, erklärte Mando unverblümt. »Freiheit so zu leben, wie es mir gefallt, Freiheit von meiner Mutter, meinem Schwager.«
»Auch wenn sie dich gehen ließen, wärest du nicht frei«, sagte Pappas Mavros ernst. »Du würdest von der Gemeinschaft ausgestoßen werden, weil du nicht lebst, wie man es von dir erwartet, und dann wärst du inmitten deiner Freiheit sehr einsam.«
»Aber es muss doch noch andere Menschen geben, die so denken wie ich!«, rief Mando verzweifelt.
»Die gibt es auch. Mehr als du denkst. Aber ihr
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