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Die Rebellin

Die Rebellin

Titel: Die Rebellin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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Freiheitsbegriff ist viel weiter gefasst, sie denken nicht nur an sich selbst, denn sie haben verstanden, dass niemand in einem unfreien Land wirklich frei sein kann.«
    Er stand auf, zog aus einem Stapel Papier ein Blatt und reichte es ihr. »Dein Französisch ist besser als meins. Übersetz mir bitte diesen Text, er stammt von einem Mann namens …«, er zögerte, »Satobriant.«
    »Chateaubriand«, verbesserte Mando automatisch, runzelte die Stirn und begann zu übersetzen: »Das Schauspiel Attikas, über dem ich sann, war einst von Augen überblickt worden, die seit über zweitausend Jahren geschlossen sind. So mag man zur Blütezeit Athens die Flotte gesehen haben, wie sie dem Feind entgegen aus dem Piräus auslief. Vielleicht hätten wir die Trauer von Ödipus, von Philoktet oder der Hekuba vernommen, deren Rufe uns aus dem Bacchus-Theater entgegengehallt wären. Wir hätten den Beifall der Bürger gehört und die Reden des Demosthenes. Doch ach! Kein Ton erreichte unser Ohr, nur verirrte Rufe dieses versklavten Volkes, die von Zeit zu Zeit zwischen den Mauern aufklangen, die einst das Echo freier Stimmen zurückgeworfen hatten.«
    Mando reichte ihm das Papier zurück und schüttelte den Kopf.
    »Wenn man das liest, sollte man meinen, dass wir uns alle an eisernen Fußfesseln fortschleppten oder wie Prometheus an einen Felsen gekettet wären. Aber das ist doch nicht so! Natürlich weiß ich, dass der Türke unser Herr ist, aber wir kennen es doch seit Jahrhunderten nicht anders, und ich wüsste nicht, was wir gegen den Sultan unternehmen könnten.«
    »Schau dir die Serben an«, forderte Pappas Mavros Mando auf. Er bezog sich dabei auf den halbautonomen Status, den sich dieses Volk ein Jahr zuvor unter der osmanischen Herrschaft erkämpft hatte, und er wies seine Nichte daraufhin, dass der Mann am Bosporus seit den russisch-türkischen Kriegen noch mehr kränkelte.
    Mando erinnerte sich: »Da haben Griechen doch auf beiden Seiten gekämpft?«
    »Weil sie keine Wahl hatten. Genau das meine ich. Wir müssen um unsere Unabhängigkeit kämpfen, um die Ziele, die uns wichtig sind. Die Zeit dafür ist reif. Weißt du, was man im Ausland über uns sagt?«
    »Das habe ich doch soeben übersetzt.«
    »Das war noch freundlich. Der preußische Generalkonsul in Rom, Jakob Salomon Bartholdy, ist präziser in seiner Beschreibung. Er nannte uns ›einen Haufen ausgetrockneter Stämme, die das einzige Zeugnis für einen einstmals stolzen Wald sind‹, eine sehr deutliche Sprache, nicht wahr?«
    »Es wäre schön, wenn Irinis Kinder sich so etwas nicht anhören müssten«, sagte Mando nachdenklich. »Ich stelle mir gerade vor, dass es wieder zu einem Krieg mit den Russen kommen könnte, und jeder der Jungen auf einer anderen Seite kämpfen müsste.«
    Pappas Mavros war befriedigt. Mando befand sich auf dem richtigen Weg. Aber er machte sich nichts vor, noch war sie zu naiv, zu selbstsüchtig und zu verwöhnt, um die Aufgabe, die er ihr zugedacht hatte, erfüllen zu können. Aber noch war auch die Hetärie der Freunde zu schwach. Außerdem bestand die Gefahr, dass der einfache Bürger die Ziele der gebildeten Schicht verkannte und aus eingewurzeltem Misstrauen annehmen würde, die Bevorzugten seien nur darauf aus, sich persönlich zu bereichern. Erst, wenn man wirklich alle Bevölkerungsgruppen hinter sich wusste, war die Stunde der Erhebung gekommen. Innerlich schmunzelte er. Es war ein Fehler der Osmanen gewesen, der orthodoxen Kirche so weit entgegenzukommen und die Glaubensfreiheit zu gestatten. Zwar würden Krieger in Waffenröcken das Land befreien, aber den Impetus würden die Männer in Soutanen geben, einfache Popen wie er.
    Pappas Germanos, der Erzbischof von Patras, hatte in seiner letzten Epistel deutlich zu verstehen gegeben, dass die Kirche im Kampf gegen die Ungläubigen das Fundament der nationalen Einheit bilden sollte. Von Griechenland sollte wieder ein Signal ausgehen und zusammen mit Russland würde man sich daran machen, den wahren, den orthodoxen Glauben wieder in die heidnische Welt der Katholiken und Protestanten hinauszutragen.
    Pappas Mavros hatte an dieser Stelle eine Augenbraue gehoben, aber er sah dem Erzbischof seine Engstirnigkeit nach. Schließlich lebte dieser nicht wie er Tür an Tür mit Katholiken, durchaus zugänglichen und gar nicht so anderen Menschen, wie er selber erfahren hatte. Tinos, das erst vor genau hundert Jahren, nämlich im Jahr 1718, von den Venezianern formell an die Türken

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