Die Rebellin
immer einer zuerst.«
»Diese Ehe ist auf andere Weise zeitlich begrenzt. Viele Fremde, die nach Mykonos kommen, brauchen für die Zeit ihres Aufenthalts eine Ehefrau. Die ihnen Essen kocht, die Wäsche wäscht, den Haushalt führt und eben alle entsprechenden Aufgaben erfüllt.« Er merkte, wie ihm das Blut ins Gesicht stieg und ärgerte sich, dass er diesem Gespräch nicht ausgewichen war. Er gestand sich ein, dass er es wahrscheinlich sogar herausgefordert hatte. Schon seit langem irritierte ihn das herablassende Verhalten seiner Cousine. Es konnte nicht schaden, wenn diese Tochter aus höherem Haus einmal mit den Lebensumständen der weniger begünstigten Inselbewohner vertraut gemacht würde.
»Warum hat das Mädchen denn den Mann geheiratet, wenn sie wusste, dass er sie verlassen würde?«, fragte Mando jetzt.
»Weil er viel Geld dafür bezahlt. Da diese Ehe natürlich keine kirchliche Weihe hat, ist ein so genannter vorehelicher Vertrag aufgesetzt worden. Der ist bindend. So etwas ist auf Mykonos gang und gäbe. Von dem Geld kann sich die Frau eine Aussteuer anschaffen und den Mann heiraten, den sie haben möchte«, erwiderte Marcus und setzte hinzu: »Nicht jeder hat Eltern, die einen ausstatten, liebe Cousine.«
Mando überging die Anspielung und war in Gedanken immer noch bei dem Mädchen, das in ihrem Haus wohnte.
»Aber wie kann ein anderer Mann sie jetzt heiraten wollen? Sie ist doch nicht mehr … nicht mehr …«
Zu seiner Befriedigung beobachtete Marcus, dass Mando auf der Suche nach dem richtigen, ihr aber peinlichen Wort rot wurde. Er hatte nicht die Absicht, ihr zu helfen.
»… nicht mehr … ein Mädchen!«, schloss Mando und atmete erleichtert aus.
»Eine Frau mit Geld ist für die meisten Mykoniaten interessanter als ein Mädchen ohne Geld«, bemerkte er und stellte fest, dass Mandos Haar in den Strahlen der Abendsonne rötlich schimmerte und ihre Haut fast durchsichtig schien.
»Geht es denn auf dieser Welt immer nur um Geld?«, fragte sie empört.
»Ja«, antwortete er einfach und setzte dann hinzu: »Vor allem, wenn man es nicht hat.«
»Ich habe auch keins!«, rief sie. »Und trotzdem habe ich mir den Sinn für andere Werte bewahrt!«
Marcus erhob sich und trat auf sie zu. Ein Sonnenstrahl verlieh seinem ungewöhnlich glatten schwarzen Haar einen Blauschimmer. Er war nur wenig größer als sie und blickte ihr direkt in die Augen, als er den Stoff ihres Ärmels zwischen seine Finger nahm.
»Seide?«, fragte er leise, während seine Hand ihren Arm bis zu ihrem Hals hinaufglitt und dann an einer Kette Halt machte. »Gold?«
Sein Atem roch nach Tabak und seine Augen glichen brennenden Kohlen. Mando hielt die Luft an. Sie spürte unendlich sanfte Finger ihren nackten Hals hinunterwandern und sie atmete aus, als diese wieder Stoff berührten und auf eine Brosche klopften. »Rubine, Diamanten?«
Mando trat einen Schritt zurück. Was fiel ihm ein!
»Schöne Werte, Mando«, flüsterte er, packte sie an der Taille, zog sie an sich und drückte ihr einen harten Kuss auf die Lippen.
Er ließ sie sofort wieder los und fasste sich an die Stirn. Mit einem spitzen Aufschrei rannte Mando aus dem Zimmer.
»Bleiben Sie über Nacht?«
Vassilikis Stimme erschreckte ihn. Langsam wandte er sich um und blickte auf die kleine Dienerin, deren Vogelaugen sich über ihn zu mokieren schienen. Er hatte eine trockene Kehle, war erschüttert über das, was er getan hatte. Er hatte sich über ein ungeschriebenes Gesetz hinweggesetzt, eine Frau der eigenen Familie berührt!
»Nein«, antwortete er, »ich fahre sofort zurück nach Mykonos.«
»Und was wird jetzt mit Mandos Haus?«, erkundigte sich Zakarati, die mit ihrer Handarbeit wieder das Zimmer betrat.
»Ich werde einen Ehemann für das Mädchen finden«, erwiderte er. »Der wird dann die ausstehende Miete bezahlen.«
Und wenn nicht, dachte er, dann lasse ich das Mädchen eben umsonst dort wohnen und bezahle selber die Miete. Auf die Dauer wird das billiger sein, als die Schäden zu reparieren, die durch Leerstand entstehen. Er konnte nicht wissen, dass diese Entscheidung Mando viele Jahre später einmal vor einem üblen Schicksal bewahren sollte.
»Du kannst nicht in der Dunkelheit zurückfahren«, erklärte Zakarati. »Vassiliki hat dir bereits Waschwasser ins Gästezimmer gebracht.«
Unmöglich, das Gästezimmer lag direkt neben Mandos Zimmer. Er würde kein Auge zumachen können, sich immer wieder vorstellen, wie sie sich entkleidete,
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