Die Rebellin
bevor sie zu Bett ging. Er würde im Halbschlaf aufstehen, ihr Zimmer betreten und sich auf sie stürzen. Er würde ihren kleinen Mund mit den vollen Lippen küssen, ihre Brüste fühlen, ihren Schoß erobern, er würde sich nicht beherrschen können und eine Todsünde begehen. Er durfte auf keinen Fall die Nacht in diesem Haus verbringen.
»Ich werde bei Pappas Mavros übernachten«, sagte er entschlossen und stand auf.
»Nein, das geht nicht!« Zakarati war entsetzt. »Wie kommst du darauf? Womit haben wir dich beleidigt? Wie sieht das denn aus, wenn du nicht bei uns übernachtest! Irini und Antonis werden mir entsetzliche Vorwürfe machen. Du bleibst hier«, sagte sie mit einer Autorität, die ihr Marcus nie zugetraut hätte.
Ihm blieb keine Wahl. Er legte sich in das Gästebett und schloss die Augen, konnte aber nicht schlafen. Immer wieder fuhr seine Hand über die Wand, an deren anderen Seite das Bett von Mando stand. Einmal ging er zum Fenster, öffnete es und lauschte hinaus in die stille Nacht, in der Hoffnung die regelmäßigen Atemzüge seiner Cousine zu hören. Aber ihr Fenster war geschlossen.
Er fragte sich, ob er im Begriff stand verrückt zu werden. Bis zum heutigen Tag hatte er in Mando nie etwas anderes als seine Cousine gesehen, ja, sie nicht einmal sonderlich gemocht. Er verstand selber nicht, weshalb er sie plötzlich mit einer Leidenschaft begehrte, die noch keine andere Frau in ihm entfacht hatte. Immer wieder ging er im Geiste die Szene durch, fragte sich, ob Mando nicht doch ein klein wenig gezögert hatte, ehe sie ihn weggestoßen und mit einem Schrei das Zimmer verlassen hatte.
Aber selbst wenn Mando Gefühle für ihn hätte, wäre es sinnlos. Als Blutsverwandte durften sie nicht zusammen sein, nicht heiraten. Es gab keine Zukunft für sie, er musste jeden Gedanken an Mando auslöschen.
Ein Schrei gellte durchs Haus.
Marcus setzte sich kerzengerade auf. Spielte ihm sein zermartertes Gehirn einen Streich? Wieder kam ein Schrei, diesmal lang gezogen. Türen schlugen. Getrappel auf der Holztreppe, Türenschlagen, aufgeregte Rufe.
Er sprang aus dem Bett, zog sich den Morgenmantel über und verließ sein Zimmer. Im Flur stieß er mit Mando zusammen, die nur ein dünnes weißes Nachthemd trug, über das sich ihre langen dunklen Locken ergossen. Ein Blitz durchfuhr ihn, als der weiche Körper den seinen berührte.
Mando ließ ihre Kerze fallen, er bückte sich, packte die Kerze mit einer Hand und griff mit der anderen nach einer kleinen weißen Fessel, und fuhr, während er sich gleichzeitig aufrichtete, schnell mit der Hand über die Innenseite einer wohlgeformte Wade, bis hinauf zu einer nackten Scham. Mando wehrte sich nicht, blieb wie angewurzelt stehen und starrte ihn aus aufgerissenen Augen an.
»Du gehörst mir«, flüsterte er heiser.
Sie taumelte. »Irini«, flüsterte sie zurück, »Irini kriegt ihr Kind!« Damit wandte sie sich um und raste die Treppe hinunter.
Nicht nur ein Kind, sondern ein Zwillingspärchen erblickte in der Tagesdämmerung dieses Julimorgens im Jahr 1818 das Licht der Welt.
»Welch ein Glück, dass sie ihre Kinder in der Nacht gekriegt hat«, bemerkte Vassiliki, als sie in Irinis große Küche trat, wo Mando den beiden Köchinnen Anweisungen gab. »Ich weiß nicht, ob die arme Kleine das in der Hitze des Tages überlebt hätte!« Sie wischte sich ihr schweißnasses Gesicht an einem Küchentuch ab. »In diesem Land ist es eine Strafe, im Sommer schwanger zu sein!« Niemand der Anwesenden konnte wissen, dass sie aus eigener Erfahrung sprach, denn Vassiliki machte aus ihrer Vergangenheit seit jeher ein Geheimnis.
Sie nickte anerkennend, als ihr Blick auf die Teller mit Gebäck, Broten, kleinen Fischen, gefüllten Paprika und kaltem Fleisch fiel.
»Gut organisiert«, lobte sie Mando, »du könntest jetzt schon deinem eigenen Haushalt vorstehen! Ich übernehme den Rest, geh zu Irini und sieh dir deine Neffen an!«
Jetzt kam der Moment, den Mando gefürchtet hatte, der Moment, an dem es für sie nichts mehr zu tun gab und alle möglichen Gedanken auf sie einströmen würden. Zakarati hatte ihr die Aufsicht über die Küche übertragen und in der Hektik des Geschehens war Mando nicht zur Ruhe gekommen. Sie war dankbar, dass ihre Mutter die Anwesenheit der jüngsten Tochter bei der Geburt für unpassend hielt, und sie versuchte, nicht daran zu denken, was in der Kammer, aus der die Schreie kamen, vor sich ging.
Als Mando die Küche verließ, probierte sie,
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