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Die Rebellin

Die Rebellin

Titel: Die Rebellin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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Gebeine ihres Vaters sauber gewesen, sie musste also nicht fürchten, dass er als Wesen der Dunkelheit noch auf der Erde umherirren würde.
    Wie warm es war! Wie verlockend die stille saphirblaue See! Winzige Wellen schwappten an den Strand und umspülten ihre nackten Füße. Es ist verrückt, dachte Mando, aber ich möchte mich im Wasser abkühlen.
    Sie stand auf, reckte sich und sah sich um. Natürlich war niemand zu sehen, die Bauern, die ab und zu nach den Feldern auf den Hängen sahen, hielten ihren Mittagsschlaf. Sie konnte es riskieren. Sie schickte eine Kusshand zum Horizont, wo sie ein winziges Stückchen von Paros zu erkennen glaubte. Die Fischerkinder von Naoussa, jene, die sie einst zur Königin gekrönt hatten, waren ihre Schwimmlehrer gewesen und sie hatte sich oft gefragt, ob sie die Bewegungen noch beherrschte. Das würde sie jetzt herausfinden.
    Sie riss sich die Kleider vom Leib, blieb einen Augenblick nackt am Ufer stehen, überwältigt von einem bisher ungekannten Gefühl der Freiheit. Sie rannte ins Meer und schnappte nach Luft, als die Kälte sie umfing. Laut jauchzend ließ sie sich nach vorn fallen und begann zu schwimmen. Es ging mühelos. Sie peilte eine bizarre Felsengruppe an, die einige hundert Meter entfernt aus dem Meer ragte, erkannte aber bald, dass Abstände auf dem Wasser trügerisch sein können. Nach einer Viertelstunde beschloss sie zurückzuschwimmen. Vielleicht ein anderes Mal. Wenn sie mehr Übung hatte, würde sie die Felsengruppe erreichen können.
    Sie wandte sich um. Wieder stieß sie einen Schrei aus, aber diesmal vor Entsetzen. Sie vergaß fast zu schwimmen, als sie neben ihrem Pferd am Strand ein weiteres Pferd mit einem Reiter erkannte.
    Das ist ein Alptraum, dachte sie, ich muss im Wasser bleiben, bis der Mann weg ist. Wer ist dieser unverschämte Kerl? Warum verschwindet er nicht! Er sieht doch, dass da Frauenkleider liegen! Weg, weg, geh weg, dachte sie verzweifelt. Ich bin zu weit gegangen und ich habe mich überschätzt, meine Mutter hatte Recht. Wie dumm zu denken, dass man auf dieser Welt irgendwo wirklich allein und ungestört sein kann! Wenn ich heil aus dieser Situation herauskomme, schwor sie sich, werde ich mein Betragen grundlegend ändern.
    Weg war das Gefühl der Freiheit, das sie vor wenigen Minuten noch so beseelt, weg der Mut, mit dem sie sich in die eiskalte See gestürzt hatte.
    Keinen Gedanken verschwendete sie mehr an das samtweiche Wasser, das ihren Körper umschmeichelte, an die als so angenehm empfundene Schwerelosigkeit und Nacktheit.
    Angst schnürte ihr die Kehle zu, ließ sie erzittern, Arme und Beine schwer werden. Nur mühsam konnte sie sich noch über Wasser halten. Ich ertrinke, dachte sie, Mando, die Heldin von Mykonos, wird sterben, bevor sie Griechenland errettet hat. Sie stirbt, weil sie sich nicht traut, vor den Augen eines Fremden nackt aus dem Meer zu steigen. Sie verrät ihre Ideale, weil sie feige ist, ihrer Kleidung zu viel Bedeutung zumisst und ganz gewöhnliche Angst hat, dass ihr Gewalt angetan wird. Dass Griechenland Gewalt angetan wird, ist ihr im Augenblick ganz gleichgültig und der Angst um die eigene Person untergeordnet.
    Der Mann war inzwischen vom Pferd gestiegen. Irgendetwas an seinen Bewegungen beruhigte Mando. Er winkte ihr zu und rief etwas.
    »Mando!«, kam es über das Wasser. »Ich bin es!«
    Sie hielt in ihrer Bewegung inne, schloss die Augen und tauchte unter. Als sie nach Luft schnappend wieder nach oben kam, sah sie, dass sich ihr Marcus schwimmend näherte.
    »Wie mutig du bist!«, rief er völlig unbefangen. »Bei dem eiskalten Wasser! Und wo hast du überhaupt schwimmen gelernt?«
    »Auf Paros«, flüsterte sie.
    Er hatte sie jetzt erreicht und schwamm dicht neben ihr. Er strich sich mit einer Hand das lange nasse schwarz glänzende Haar aus den Augen, griff dann zu ihr hinüber und fuhr ihr sanft über den Rücken. Sie zitterte, suchte mit den Füßen Halt und entdeckte, dass ihr das Wasser nur bis zu den Oberschenkeln reichte. Erstaunt blickte sie auf, direkt in die dunklen Augen ihres Cousins.
    »Hier und jetzt«, sagte er, »diesmal entkommst du mir nicht.«
    Er zog sie an sich und drückte seinen Körper fest gegen ihren. Aber bevor sein Mund sich auf ihre Lippen senken konnte, nahm Mando eine seiner Hände und legte sie zwischen ihre Schenkel.
    »Da!«, sagte sie dann, sah ihn aus großen unschuldigen Augen an und nickte zum Ufer hin. Bevor er sich von seiner Überraschung erholt hatte, riss sie

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