Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Rebellin

Die Rebellin

Titel: Die Rebellin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
Vom Netzwerk:
schlug ihm so heftig ins Gesicht, dass er rückwärts in den Sand stürzte und einen Augenblick wie benommen war.
    »Nein!«, schrie er, als er wieder zu sich kam und sah, dass nur noch Mandos Schultern aus dem Wasser herausragten. Er rannte ins Meer, schwamm zu ihr hin, packte sie, bevor sie untergehen konnte und zog sie ans Ufer. Sie war bewusstlos und atmete flach. Ihre halb geöffneten Augen schienen nichts zu sehen.
    Wie leicht sie ist, dachte er, als er sie auf seine Schultern lud und den Berg hinauf zur Hütte trug. Natürlich war an eine Rückkehr nach Mykonos-Stadt nicht mehr zu denken. Selbst wenn sie wieder zu sich käme, wäre sie viel zu schwach, um sich auf dem Pferd zu halten.
    Hastig zog er ihr und sich selber die nassen Kleider aus, legte sie zum Trocknen auf die Steinbank vor dem Haus und rieb Mando mit einer Essenz ab, die sich in einer Flasche in der Wandnische befand. Als er sie zudeckte, atmete sie wieder regelmäßig.
    Ein Sonnenstrahl, der durch das kleine Fenster fiel, kitzelte sie an der Nase und weckte sie. Mando öffnete die Augen und blickte erstaunt um sich. Sie schlang einen Arm um den Mann, der neben ihr leise schnarchte und versuchte sich zu erinnern.
    Nein, es war kein Ball gewesen, aber sie hatte getanzt. Getanzt wie noch nie in ihrem Leben. Wo waren die Frauen hergekommen, wo sind sie geblieben und wie hatte der Tanz geendet? Sie kuschelte sich dichter an den nackten Mann, den sie liebte und der sie glücklicher machte als je ein Mensch zuvor. Aber jenes Glücksgefühl, das sie in der Nacht beim Tanz am Strand durchströmt hatte, war unvergleichlich gewesen. Wenn sie es nur einmal noch erleben könnte! Wenn ich nicht wieder so tanzen kann wie gestern, werde ich nie wieder tanzen, schwor sie sich, und dann erst dachte sie voller Sorgen daran, wie sie ihrer Mutter die nächtliche Abwesenheit erklären sollte.
    Es stellte sich heraus, dass eine Erklärung gar nicht nötig war. Als sie am Morgen ins Esszimmer trat, schien Zakarati weder überrascht noch verärgert oder besorgt zu sein.
    »Vassiliki hat mir gesagt, dass du schon im Morgengrauen ausgeritten bist«, wurde sie von ihrer Mutter begrüßt und sie widersprach nicht. Die Vogelaugen der Dienerin musterten sie neugierig, und Mando wusste, dass zumindest ein Mensch im Haus auf eine Erklärung wartete.
    Vassilikis Augen begegneten den ihren im venezianischen Spiegel, als die Dienerin später Mandos Haare bürstete.
    »Ja, mein Hühnchen, jetzt bist du also eine Frau«, stellte Vassiliki fest. Mando griff nach der Hand, die die Bürste hielt.
    »Was sagst du da, Vassiliki?«
    Die Dienerin kicherte.
    »Deiner Mutter kannst du alles Mögliche erzählen, aber meine Augen können sehen, mein Küken. Entweder hast du die Nacht mit einem Palikari verbracht, doch nicht etwa mit dem hübschen Jakinthos …?« Sie machte eine Pause und hielt Mandos Blick im Spiegel fest.
    »Oder?«, fragte Mando möglichst gleichgültig.
    »Oder du hast mit den Yaludes getanzt – aber dann wärst du wohl kaum hier.« Sie kicherte wieder.
    »Was sagst du da?«, fragte Mando alarmiert. »Was sind die Yaludes?«
    »Dein Haar ist verklebt«, klagte Vassiliki und leckte sich die Finger. »Salz! Du warst in der Nacht im Meer? Oder wollte dich dein Liebhaber mit Haut und Haaren, Salz und Pfeffer verspeisen?«
    »Die Yaludes!«, ermahnte Mando sie ungeduldig.
    »So heißen sie hier auf Mykonos. In meiner Heimat nennt man sie Neraides. Frauen aus einem Zwischenreich, äußerst gefährliche Wesen, schön und verführerisch, die von einem hellen Licht bestrahlt in wilden Kreisen herumwirbeln. Wer sie sieht, ist meistens verloren, denn er fühlt sich zu ihnen hingezogen und wird von ihnen zum Tanzen verführt. Aber weil er nicht, wie die Yaludes, auf der Wasseroberfläche tanzen kann, ertrinkt er. Man sagt, dass die Yaludes den Körpern der Lebenden die Kraft entziehen, um beim nächsten Vollmond wieder tanzen zu können.«
    Ein Schauer fuhr Mando durch den Leib.
    »Und kann sie jeder sehen?«, fragte sie.
    »Das weiß ich nicht. Es wird wohl so sein wie mit den anderen phantastischen Erscheinungen, von denen man munkelt.«
    Mando erinnerte sich an die Geister, von denen die Inselbewohner nur im Flüsterton sprachen. Da gab es den kleinen Kapitän, der mit Vorliebe im Winter auftauchte und sich in dem jeweiligen Haus in die Nähe der Wärmequelle setzte. Er verschwand, wenn man ihm ein Glas Wein gereicht hatte. Oder die riesige weiße Sau, die mit zwölf kleinen

Weitere Kostenlose Bücher