Die Rebellin
Ferkeln in einer Ruine außerhalb des Dorfes hausen sollte. Die Inselbewohner nahmen nach Einbruch der Dunkelheit Umwege in Kauf, um nicht an dieser Ruine vorbeigehen zu müssen. Oder an Arapis, einen schwarzen Geist, der nachts die Straßen unsicher machte. Die ihn gesehen hatten, berichteten, dass er fünf Meter groß sei, eine Zigarre rauche und mit Felsbrocken nach denen werfe, die ihm begegneten.
Mando war nicht abergläubisch. Sie hatte bisher über all diese Erscheinungen gelacht und sie der Unbildung, der Angst und der Phantasie der Mykoniaten zugeschrieben. Jetzt aber wusste sie mehr. Sie hatte die Yaludes so klar und deutlich gesehen wie sie jetzt Vassiliki im Spiegel sah. Sie hatte mit ihnen getanzt und das Glücksgefühl war echt gewesen.
»Ich muss deine Haare waschen«, sagte Vassiliki, »so kann ich sie nicht frisieren.« Sie verließ das Zimmer, um die Köchin zu beauftragen einen großen Topf mit Wasser aufzusetzen.
Mando blieb vor dem Spiegel sitzen. Ihr fiel der Tag ein, an dem sie im Meer geschwommen war und Marcus erstmals am Strand aufgetaucht war. Als sie ihn noch nicht erkannt hatte, war sie sich genauso ausgeliefert vorgekommen wie jetzt, als sie darüber nachdachte, dass fremde Mächte von ihr Besitz ergriffen hatten. Sie nahm eine Haarsträhne in den Mund und schmeckte Salz. Ist es denn wirklich geschehen, fragte sie sich. Bei Tageslicht erschien es lächerlich, dass sie nachts am Strand mit den Yaludes getanzt haben könnte. Nein, sagte sie zu ihrem Ebenbild und schüttelte heftig den Kopf, das sind die Reste des Fiebers gewesen. Schließlich hat Marcus kein Licht und auch keine Frauen gesehen. Für ihn war ich kurzzeitig wahnsinnig und wahrscheinlich hat er Recht. Dieser Gedanke gefiel ihr besser als jener, dass sie möglicherweise irgendwelchen geheimnisvollen Kräften ausgeliefert gewesen war. Trotzdem, tanzen wollte sie nie wieder.
Für Mando standen die nächsten Monate ganz im Zeichen des Geldsammelns für die Revolution. Sie versetzte ihre kostbarsten Schmuckstücke, schickte den Kämpfenden Geld und hielt flammende Reden vor den reichen Mykoniaten, die die Insel nicht verlassen hatten. Sie freundete sich mit dem französischen Oberst Maxim Rimbaud an, der am Ende des Jahres auf die Insel kam, ihr in langen Stunden Unterricht in Strategie und Taktik erteilte und gewissermaßen zu ihrem persönlichen Professor für Militärwesen wurde.
Rimbaud war fasziniert von der lernbegierigen, schönen jungen Griechin, die offensichtlich bereit war jedes Opfer für ihr Land zu bringen. Kurz vor Weihnachten traf er sie in Jubelstimmung an, denn sie hatte gerade erfahren, dass der politische Grundstein für den neuen Staat gelegt worden war.
»In Epidaurus haben sich die Vertreter der drei lokalen Regierungen zur ersten Nationalversammlung getroffen!«, berichtete sie dem Oberst aufgeregt. »Alexander Mavrokordatos hatte den Vorsitz …«
Maxim Rimbaud nickte. »Ein Phanariot, ein kluger, liberaler und demokratisch gesinnter Mann«, meinte er anerkennend, »allerdings neigt er nach meinem Geschmack zu sehr in die englische Richtung …«
»Aber die neue Verfassung ist dem französischen Fünferdirektorium nachempfunden«, warf Mando ein. »Und wir haben jetzt auch eine eigene griechische Fahne in den Farben Blau und Weiß! Ich habe sofort ein Glückwunschbillet abgeschickt und darum gebeten, Vertreter des künftigen neuen Parlaments nach Mykonos zu entsenden. Wenn unsere Bürger aus deren Mund erfahren, wie wenig noch nötig ist, den Sieg zu erringen, werden sie ihre Börsen vielleicht etwas bereitwilliger öffnen.«
Maxim Rimbaud, der die menschliche Natur besser kannte, schwieg. Er wollte der jungen Frau keine Illusionen rauben und nahm sich vor, alles in seiner Macht Stehende zu unternehmen, um sie vor Enttäuschungen zu bewahren.
Wie wohlhabend die Insel tatsächlich war und wie schamlos die Menschen mit ihrem Reichtum prunkten, während zum Beispiel viele Bewohner von Tinos Hunger litten, ging ihm erst zur Jahreswende auf.
Im Hause eines Onkels von Mando war zu einem großen Fest geladen worden, bei dem auch zwei Abgesandte des neuen Parlamentspräsidenten Dimitri Ypsilanti anwesend waren. Auch diesen gingen die Augen über, als sie die reich mit ausländischen Delikatessen beladenen Tische betrachteten und die über und über mit Goldschmuck, Perlen und Edelsteinen behängten schönen jungen Frauen in Garderoben, die sogar am Königshof in Paris aufgefallen wären. Da waren
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