Die Rebellion der Maddie Freeman - Kacvinsky, K: Rebellion der Maddie Freeman - Awaken
ich auch immer das Gleiche.
Wenn man von meinen Noten ausgeht, bin ich im Schulunterricht wohl ein Naturtalent. Ich schaue am Ende des Jahres nicht einmal mehr nach, wie ich abgeschnitten habe, aber mein Vater druckt die Zensurenliste immer aus und ruft mich in sein Büro, um mir die vielen Einsen zu präsentieren. Früher dachte ich, jeder habe so einen Notendurchschnitt, bis ich alt genug für fortgeschrittene Computerkurse war und herausfand, dass ich bei den DS-Schülern zu den besten drei Prozent gehöre. Die zehn Prozent an der Spitze bekommen automatisch die begehrtesten Ausbildungsplätze und Elitekurse am College angeboten. Wenn man zu den besten fünf Prozent gehört, melden sich Headhunter der verschiedenen digitalen Universitäten. Im Bereich der Top Drei zusein ist natürlich ungewöhnlich, mir aber ziemlich egal. Mein Vater findet es hilfreich, mich an der statistischen Norm messen zu können, aber ich bin der Meinung, Intelligenz lässt sich nicht in einer Schulnote ausdrücken. Zensuren haben wenig mit Fähigkeiten zu tun. Um in der Digital School eine Bestnote zu bekommen, braucht man nicht nur einen wissenschaftlichen Verstand. Vor allem muss man angepasst und gehorsam sein. Man muss tun, was einem gesagt wird. Man muss bereit sein, sich an das System zu verkaufen. Ich schwänze nie den Unterricht und halte mich an die Anweisungen der Lehrer. Meine Einser bekomme ich, weil ich die Gedanken anderer Leute wiederkäue, anstatt eigene Ideen zu entwickeln.
Wenn ich nicht in der Schule bin, verbringe ich meine Zeit in sozialen Netzwerken, wo ich meine Onlinebekannten treffe. Früher war ich am liebsten auf der Website von DS4Dropouts, wo sich Teenager trafen, die keine Lust mehr hatten, nur hinter Bildschirmen zu leben. Ich habe die meisten meiner Freunde dort kennengelernt, aber nach meiner ›rebellischen Phase‹ blockierte mein Dad den Zugang zu bestimmten Seiten und Personen. Doch angepasst zu sein liegt mir einfach nicht. Es fühlt sich an, als hätte man mir ein zu enges Outfit übergestülpt, aus dem ich jeden Tag weiter herauswachse, sodass ich mich ständig unwohl fühle.
Durch Justin habe ich angefangen zu verstehen, warum ich vor ein paar Jahren schon einmal das Gefühl hatte, gegen DS rebellieren zu müssen. Unser Gesellschaftssystem zwängt uns ein und hindert uns am Wachsen. Wie können wir unsere Potenziale erkennen, wenn wir uns nur innerhalb der Grenzen bewegen, die unsere Furcht uns vorgibt? Den Menschen beizubringen, bloß hinter verschlossenen Türen gäbe es Sicherheit vor einer gefahrvollen Welt, ist sicher kein Weg zur Lösung globaler Probleme. Dadurch überdeckt man die Schwierigkeiten nur, als würde man ein Pflaster auf eine klaffende Wunde kleben. Helfen tut das nicht. Erst wenn man die Probleme ans Licht bringt, statt sie luftdicht abzuschließen, und ihnen die Berührung mit anderen Elementen erlaubt, kann eine Heilung beginnen.
Justin hat mich auch daran erinnert, dass niemand die Macht haben sollte, uns einen Lebensstil von oben vorzuschreiben. Die Menschen haben ein Recht, eigene Lösungen zu finden, um gemeinsam zu wachsen. Für die DigitalSchool sollte man sich entscheiden können, statt sie gesetzlich aufgezwungen zu bekommen. Wir brauchen Wahlmöglichkeiten: echten Unterricht, DS, Privatschulen, staatliche Schulen, Hausunterricht, alternative Schulen, meinetwegen auch Schulen auf See oder in Flugzeugen, ganz egal.
Ich werde nie wieder zu solchen extremen Mitteln greifen, um das System zu verändern, wie ich es mit fünfzehn getan habe. Daran wäre fast meine Familie zerbrochen und einen ähnlichen Schmerz will ich meinen Eltern auf keinen Fall noch einmal zufügen. Aber ich weiß, dass auch ein unauffälliger Protest etwas bewirkt. Ich kann ein Samenkorn hier und da pflanzen. Jede noch so leise Stimme hilft, den Wandel in Gang zu bringen.
Die Ideale meines Vaters sind inzwischen mein Maßstab dafür, was ich nicht tun sollte, wie ich nicht leben will. Wenn er an etwas glaubt, ist es für mich automatisch verdächtig. Wenn er eine Regel aufstellt, setze ich sie ganz oben auf meine Liste von Dingen, die es zu bekämpfen gilt. So sieht unsere Beziehung aus. Absurderweise inspiriert er mich mehr als jeder andere, weil er mir so klar zeigt, was ich ablehne. Das ist manchmal der beste Weg herauszufinden, was man eigentlich will.
Ich habe mehr Onlinebekanntschaften, als ich zählen kann. Jeden Tag stehe ich mit gut hundert Leuten in Verbindung. Wenn ich will, kann ich
Weitere Kostenlose Bücher