Die Rebellion der Maddie Freeman - Kacvinsky, K: Rebellion der Maddie Freeman - Awaken
und tat mein Bestes, nicht allzu hoffnungsvoll zu klingen.
»Wahrscheinlich eine weitere Woche«, sagte er und musterte mich prüfend. Mir fielen die dunklen Ringe unter seinen Augen auf, und ich fragte mich, wie viele Stunden in der Woche mein Vater arbeitete. Je älter ich wurde, desto mehr bemerkte ich, wie sehr sein Job ihn auffraß und ihm keine freie Minute ließ.
Meine Eltern begannen ein Essen für Ehrenamtliche zu besprechen, das meine Mutter diese Woche organisieren sollte. Am Ende wandte mein Vater sich noch einmal mir zu. Er schaute mich mit Augen an, die meinen zum Verwechseln ähnlich sahen.
»Ich liebe dich, Maddie«, sagte er zum Abschied wie jedes Mal. Bisher hatte ich nie viel darüber nachgedacht. Für mich waren es immer nur Worte gewesen, eine Standardfloskel unserer Familie. Aber inzwischen begann ›Liebe‹ etwas anderes zu bedeuten und hätte mehr sein sollen als ein aus Gewohnheit dahergesagter Satz.
Ich wünschte ihm eine sichere Reise und mein Vater nickte. Sein Gesicht verschwand vom Bildschirm, aber ich hatte immer noch das Gefühl, seine dunklen, misstrauischen Augen vor mir zu sehen. Ich schaute aus dem Fenster auf die tief hängenden Wolken, die am grauen Himmel vorbeizogen, und dachte, wie einsam mein Vater sein musste.
Den Rest der Woche blieb ich schlecht gelaunt auf meinem Zimmer. Mein gewöhnliches Leben kam mir plötzlich vor wie ein goldener Käfig. Aus der lebendigen, wenn auch künstlichen Randwelt war ich in die digitale Alltagswirklichkeit zurückgekehrt und schien nun alles wie durch einen Zerrspiegel zu sehen. Ich saß tippend an meinem Computer und überraschte mich dabei, auf meine Fingerkuppen zu starren, die nach mehr verlangten.
Meine Gedanken kreisten nicht länger um die Schule, um meine Klausuren und andere praktische Dinge, auf die ich mich eigentlich konzentrieren sollte. Stattdessen beschäftigte sich mein Verstand plötzlich mit irrationalen Fragen, die ihm wichtiger erschienen, zum Beispiel wie viele Mädchen Justin wohl schon vor mir ausgebildet hatte.
Ich fragte mich, ob es im Netz eine Justin-Solvi-Fansite gab. Ganz bestimmt. Der Gedanke gab meinem Herzen einen Stich. Natürlich musste sich jedes Mädchen, das Justin traf, in ihn verlieben. Andererseits … nannte er sie sexy? Lud er sie zu Kaffee und Kuchen ein? War das vielleicht ein Date gewesen? Oh, mein Gott! Wenn man so besessen über einen Jungen nachgrübelt, kann man seine wertvolle Zeit auch gleich durch den Müllschredder jagen. Letztendlich brachte mir das nichts weiter als abgenagte Fingernägel und quälende Selbstzweifel.
Am nächsten Samstagabend, genau eine Woche nach meinem Treffen mit Justin, saß ich in meinem mit Kissen gepolsterten Fenstererker und starrte nach draußen. Ich studierte die Blätter vor der Scheibe so eingehend, als würden die Antworten auf alle meineFragen an den Bäumen hängen. Tagelang hatte ich herumgehockt und mir den Kopf zerbrochen, nur um wieder am Anfang zu landen. Beim Grübeln läuft man doch immer nur im Kreis und kommt nirgendwo an. Gedanken bringen einen nicht vorwärts, dafür braucht man schon seine Füße. Wenn man nicht in solchen Teufelskreisen gefangen bleiben will, muss man aufstehen und etwas tun .
Es klopfte an der Tür und ich richtete mich ein wenig auf.
»Maddie?«
»Hm«, murmelte ich, ohne meinen Blick vom Fenster zu lösen.
»Kann ich reinkommen?«
Mom öffnete die Tür. Ich rutschte auf dem Kissenplatz vor dem Fenster ein bisschen zur Seite, um ihr Platz zu machen. Mit zwei Papierbüchern in der Hand kam sie auf mich zu.
»Hier«, sagte sie und setzte sich neben mich. »Ich dachte, die könntest du heute brauchen.«
Ich nahm die Bücher und fuhr mit dem Finger über den Einband, auf dem Emma stand. Als ich es aufschlug, stieg mir der markante Geruch von alterndem Papier und Druckerschwärze in die Nase. Ich ließ die weichen Seiten durch meine Finger gleiten. Von Jane Austen hatte mir Mom schon früher zwei Bücher geschenkt. Der andere, schmalere Band trug den Titel Der Kleine Prinz . Ich kannte den Namen des französischen Autors nicht.
Mom betrachtete den Einband und lächelte. »Als ich in deinem Alter war, hat das zu meinen Lieblingsbüchern gehört.« Ein bisschen verlegen lachend fuhr sie fort: »Wahrscheinlich hältst du das für verrückt, aber ich habe die ganze Schulzeit hindurch genau notiert, was ich gelesen haben, und am Ende jedes Jahres entschieden, welche zehn Bücher meine Favoriten waren. Die habe ich
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