Die Rebellion
dem Horizont hervorgekrochen war, wurde es bereits ungemütlich heiß. Ohnesorg und Ruby Reise waren vorgeblich nach oben gegangen, um das Gelände für den täglichen
Angriff in Augenschein zu nehmen, aber in Wirklichkeit suchten sie lediglich ein wenig Zeit in der Gesellschaft des anderen.
Unter der Erde war es drangvoll eng, oftmals klaustrophobisch,
und nach einer Weile konnten einem selbst die wohlmeinendsten Leute auf die Nerven gehen. Die Ausgestoßenen hatten
begonnen, beide wie legendäre Helden zu feiern, Heilsbringer
und Retter, die die Rebellen zum unausweichlichen Sieg über
die Mächte des Bösen führen würden. Weder Jakob Ohnesorg
noch Ruby Reise waren besonders glücklich darüber.
»Ich wollte nie eine Heldin werden«, sagte Ruby entschieden. »Die Bezahlung ist lausig, und die Arbeitsbedingungen
sind einfach erbärmlich. Ich wurde zu einer Rebellin, weil man
mir einen Löwenanteil an der Beute versprochen hat, wenn das
Imperium erst auseinanderfällt. Und weil diese Kuh von Löwenstein ein Kopfgeld auf mich ausgesetzt hat. Wenn man
sieht, wie mich einige dieser Rebellen anstarren, könnte man
meinen, ich hätte mit einer Hand den Trick mit den drei Karten
ausgeführt, während ich übers Wasser gegangen bin. In mir
keimt der entsetzliche Verdacht, daß sie mich demnächst um
ein Autogramm bitten.«
»Es liegt in der Natur der Menschen, sich Helden zu suchen«,
erwiderte Ohnesorg. »Jemanden, dem man folgen kann und der
die harten Entscheidungen für einen trifft. Sie machen uns größer, als wir in Wirklichkeit sind, heften all ihre Träume und
Sehnsüchte an uns und werden dann gemein, wenn sich herausstellt, daß wir nicht mehr und nicht weniger menschlich sind
als sie selbst. Ich habe all das schon früher erlebt, Ruby. Es ist
einer der Gründe, warum ich meinen Beruf als Rebell an den
Nagel gehängt habe und davongerannt bin, um mich auf Nebelwelt zu verstecken. Ich wurde es langsam satt, jedermanns
Hoffnungen und Erwartungen auf den Schultern zu tragen. Sie
waren niemals breit genug dazu. Ich verbrachte die meiste Zeit
meines Lebens mit dem Versuch, die Leute dazu zu bringen,
selbst die Verantwortung für ihr Leben in die Hand zu nehmen.
Es war eine Sisyphusarbeit. Viel zu oft jubeln sie lieber einem
Anführer zu, irgendeinem lächelnden charismatischen Bastard,
der ihnen einredet, daß sie viel mehr erreichen können, als sie
gedacht haben. Manchmal glaube ich, sie würden Löwenstein
nur zu gern vom Thron stoßen und sie gegen den ersten schön
redenden Helden austauschen, der ihnen über den Weg läuft.
Sogar mich.«
»Imperator Jakob«, sagte Ruby. »Mir gefällt’s. Du würdest
die Dinge in Bewegung bringen.«
»Ich hasse allein schon den Gedanken«, entgegnete Jakob.
»Niemand darf so viel Macht in Händen halten. Nicht einmal
ich. Die Versuchung ist zu groß. Ich habe gesehen, wie Macht
korrumpiert, selbst wenn Menschen mit den besten Absichten
antreten … vielleicht ganz besonders bei Menschen mit den
besten Absichten. Es gibt nichts Gefährlicheres auf der Welt
als einen Mann, der weiß, daß er recht hat. Am Ende opfert er
unzählige Menschen im Namen seiner Überzeugung, gleich, ob
Feind oder Freund. Nach meiner Erfahrung darf man keinem
einzelnen Menschen trauen, wenn es um Macht geht.
Demokratie funktioniert, weil eine Menge Menschen der
gleichen Meinung sind. Im großen und ganzen betrachtet sind
die Menschen stets besser beraten, wenn sie einen Anführer
absetzen können, der eines Tages anfängt, seinen eigenen
Pressemitteilungen zu glauben.«
Für eine Weile blickten Ruby und Jakob schweigend in die
Metall wüste hinaus. Der frühe Morgen war eigenartig still
nach dem Gebrüll der Schlacht wenige Stunden zuvor. Hier
und da brannten Feuer, und an manchen Stellen lagen, durchsiebt von Disruptorfeuer, funkensprühend und verdreht, Imperiale Kriegsmaschinen herum, verlassen, wo sie gefallen waren,
und träumten vom Töten. Der Fabrikkomplex war ein dunkler,
furchteinflößender Schatten voller dunkler, rötlicher Schimmer, die kamen und gingen wie sich unablässig öffnende und
schließende Türen der Hölle. Das schwache Leuchten des
Schutzschildes war im heller werdenden Licht des Morgens
kaum zu sehen. Wie das Schloß eines Ogers, geschützt durch
Magie, angetrieben von Haß und Gewalt und das Blut Unschuldiger verzehrend.
»Was ist nur mit Sturm los?« erkundigte sich Ruby. »Er benimmt sich in letzter Zeit so
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