Die rebellische Republik / Warum wir uns nicht für dumm verkaufen lassen
kaputt, was euch kaputt macht
(Ton-Steine-Scherben, 1969 ) der pseudopolitischen »Autonomen«. Aber die große Frage ist, ob umgekehrt Provokation durch Musik und Outfit eine politische Protestbewegung begründen kann, womit wir bei den Punks wären. Ihre Vorläufer, die in den sechziger Jahren »durch lange Haare« und »Negermusik« auffielen – mit beidem waren die aus heutiger Sicht eher braven Frisuren und Klänge wie die der Beatles(!) gemeint –, konnten zwar kaum in der Geburtsstätte England die toleranten Briten provozieren, dafür aber umso mehr die »Generation Zucht und Ordnung« der geistigen Nazi-Erben. Schon bald aber waren die »Provokateure« bestens integriert. Selbst in der Jungen Union und an der Börse sah man, wenn auch in Schlips und Kragen, Langhaarige; und Mamis Liebling übte in der Klavierstunde eifrig
Yesterday.
Fazit dieser Ära: Von der Kellerdisco zum Konzertsaal – als Tiger gesprungen und als Bettvorleger gelandet.
Ähnliches gilt für »rebellische Musik« wie den Punk. Für John Holmstrom, Herausgeber des
PUNK -Magazine
war Punkrock »Rock ’n’ Roll von Leuten, die keine großen Fähigkeiten als Musiker hatten, aber trotzdem ein Bedürfnis fühlten, sich durch Musik auszudrücken«. [302] Es muss also nicht an einer Frühvergreisungsepidemie liegen, wenn Normalbürger den Punk als höllischen Krach von Unbegabten empfinden. Eines allerdings erreichten die Punkrocker: Aufmerksamkeit – und sei es auch nur nach 22 Uhr bei den Nachbarn und den kurz darauf erscheinenden Ordnungshütern.
Noch mehr Beachtung erlangten sie allerdings mit ihrem Outfit. Irokesenhaarschnitt und offenbar nicht zusammenpassende Klamotten, zuweilen Tattoos und Piercings bis zum Abwinken – da waren einem auf der Straße und in der U-Bahn die neugierigen, teils geschockten Blicke gewiss. Daher war das Schlimmste, was man einem Punker antun konnte, mit ihm zwanglos zu palavern und so zu tun, als ob nichts wäre. Bei einigen hatte man dann das Gefühl, sie würden die Normalos gleich anschreien wie die Gattin mit der neuen Frisur ihren Mann: »Fällt dir denn gar nichts auf, verdammt noch mal?!«
Diesen zuweilen ins Krankhafte spielenden überhöhten Geltungsdrang beobachtete der Philosoph Montesquieu schon im 18 . Jahrhundert: »Je mehr Menschen zusammenleben, desto gefallsüchtiger sind sie, in ihnen erwacht der Drang, durch Kleinigkeiten aufzufallen. Sind sie so zahlreich, dass sich der Großteil untereinander nicht kennt, so wird der Drang zum Hervortun noch einmal so groß, weil er größere Erfolgsaussichten hat.« [303]
Inzwischen wurde natürlich auch der Punk vom Mainstream vereinnahmt; längst sieht man gepiercte und tätowierte Hollywoodgrößen, Normalbürger und sogar Politiker wie etwa die grüne Bundestagsabgeordnete Agnieszka Malczak. [304]
Immer greller, immer schriller, immer nerviger: Um heute noch aufzufallen und gar »ins Fernsehen« zu kommen, muss man sich schon etwas Besonderes einfallen lassen. »Doch dafür ist es einfacher, Punk zu werden«, meint Farin Urlaub von der Punkband Die Ärzte, »weil alle wissen: Klar, der hat einen Iro oder zumindest bunte Haare. Dann gehst du einfach in den Laden und holst dir dein Outfit, und der Friseur weiß auch schon Bescheid.« [305]
Die Folge dieses Originalitätswettbewerbs beschrieb ebenfalls schon Montesquieu: »Indem sich aber jeder hervortun will, gleicht einer wieder dem anderen und tut sich gar nicht mehr hervor: Da sich alle Welt Beachtung verschaffen will, wird überhaupt niemand mehr bemerkt.« [306]
Live und zur besten Sendezeit sich paaren, gebären, gewaltsame Ehestreits austauschen oder Amoklaufen, da haben die Punker kaum eine Chance, und auf ihren »politischen Protest« reicht als Antwort der Spruch Winston Churchills: »Die Demokratie ist die schlechteste aller Staatsformen, ausgenommen alle anderen.« Jedenfalls was die Möglichkeit zur hemmungslosen Selbstdarstellung angeht. Wenn also Punks früher einmal mit Widerstand und jugendlicher Widerstandskultur in Verbindung gebracht werden konnten, so sind sie heute Teil des Mainstreams und nicht mehr wirklich vom Durchschnitt zu unterscheiden.
Pseudopolitische Randale: der Schwarze Block
Zweifellos liegen die Wurzeln des Schwarzen Blocks im entferntesten Sinn bei den Achtundsechzigern, aber das gilt auch für den Law-and-Order-Mann Otto Schily, den alternden Haremseigner Rainer Langhans und den Neonazi Horst Mahler.
Der Ausdruck Schwarzer Block wurde 1981 von
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