Die rebellische Republik / Warum wir uns nicht für dumm verkaufen lassen
das Erwachsenenleben sei bloß ein ewiger Aufenthalt im Landschulheim.« [322]
Dies ist alles schön und gut, vielleicht sogar treffend beschrieben. Aber anders als der Begriff »Generation« suggeriert, handelte es sich nur um einen relativ kleinen Teil der Jugend und jungen Erwachsenen. Die überwältigende Mehrheit bekam eben weder ein Auto zum achtzehnten Geburtstag noch ein vierstelliges Taschengeld. Und geradezu hanebüchen ist die Behauptung von der unpolitischen Generation und die These im Klappentext: »Die achtziger Jahre waren das langweiligste Jahrzehnt dieses Jahrhunderts.« Sicherlich werden einige ihre Zeit mit Shopping, Körperverschönerung, Toskana-Trips, Galeriebesuchen oder Schafkopfabenden totgeschlagen haben. Aber in den Achtzigern tobten die Kämpfe um das Endlager Gorleben und das AKW Brokdorf, an denen mit Sicherheit auch Tausende der Generation Golf vor Ort oder in örtlichen Antiatomkraftkomitees beteiligt waren, nicht zu vergessen die zahllosen Demonstrationen und Menschenketten gegen den wachsenden Neonaziterror. »Langweilig« kann ein solches Jahrzehnt nur für ein verhätscheltes, im materiellen Überfluss erstickendes Jüngelchen gewesen sein. Mal spaßeshalber angenommen, Illies hätte recht, so hätten manche Politiker jubeln müssen: »Politikverdrossenheit« bei den Jungen entspricht ja – trotz allen geheuchelten Bedauerns, Warnens oder Alarmschlagens – genau ihrem Ideal: desto ungestörter können sie ihre Gesetze gerade gegen die unpolitischen Betroffenen durchwinken.
Aber kehren wir zur Realität zurück: Wesentliche Ursachen einer bei vielen Jugendlichen ausgeprägten äußersten Gereiztheit, die sich zuweilen in scheinbar ziellosen Provokationen und Gewaltexzessen entlädt, sind der Frust über eine trostlose Gegenwart und damit verbunden die Angst vor einer unsicheren Zukunft. Im Grunde ist dieses Ausrasten ein – wenn auch als solcher oft schwer erkennbarer – Hilfeschrei.
Diese Erkenntnisse sind allerdings keineswegs neu. Schon der Bericht einer Bundestags-Enquetekommission vom 1 . Januar 2003 [323] ergibt Ähnliches. Quellen der Zukunftsangst sind demnach vor allem:
steigende Arbeitslosigkeit sowie immer schlechtere Aussichten auf einen Ausbildungsplatz oder einen halbwegs zumutbaren Job;
immer größere Einengung des Spielraums für die Entfaltung der Persönlichkeit durch das immer tiefere Vordringen des Profitdenkens in alle Lebensbereiche, durch menschenverachtende Bürokratisierung (Der Mensch als bloße Nummer) und staatliche Kontrolle;
zunehmende Zerstörung der natürlichen Umwelt und gewachsener Lebenswelten einschließlich persönlicher Beziehungen; [324]
zielstrebige Umsetzung der Träume von Deutschland als waffenstarrender Weltgendarm; [325]
Zweifel an der Möglichkeit eines lebenswerten Lebens (»Können wir in diese Welt noch Kinder setzen?«). [326]
So mancher Politfunktionär mag klammheimlich darauf hoffen, dass die Zukunftsängste der Jugendlichen sich mit der Zeit abschleifen und der Nachwuchs sich »die Hörner abgestoßen« hat. Sie mögen sich an Willy Brandts Wort erinnern, jeder gute Sozialdemokrat sei in seiner Jugend Kommunist gewesen, und an frühere Steinewerfer, Maoisten und andere Linksextreme denken, die es bis zu Ministern einer neoliberalen Regierung oder in die Chefredaktion »konservativer« oder populistischer Blätter gebracht haben.
Allerdings sind die Zukunftsängste vieler Jugendlicher alles andere als »Angst vorm Schwarzen Mann«, sondern werden von den meisten Erwachsenen geteilt. Selbst das zum Beispiel von der Wiener Kulturforscherin Beate Großegger vermutete Praktizieren einer »Zuschauerdemokratie, in der die Bürgerinnen und Bürger durch die Programme zappen, statt aus dem Sessel zu kommen und sich mit Ideen und politischen Positionen einzumischen«, [327] haben sie keineswegs exklusiv. [328] Ebenso abwegig ist die von Großegger den Parteiführungen nachgeplapperte Unterstellung, Jugendliche seien zu faul, sich mit den ach so vielschichtigen politischen Problemen auseinanderzusetzen. »Wenn der gewünschte Output nicht in Reichweite scheint, lassen sie es mit persönlichem Einsatz lieber sein und versuchen stattdessen, durch Teilhabe an fröhlich bunten Konsum- und Erlebniswelten Ablenkung von den Problemen der Zeit zu finden.« Jugendliche tauchen in das Eventerlebnis ein und können so für ein paar Stunden abschalten. [329]
Dabei wird umgekehrt ein Schuh draus. Ob Autoabgase, Verbraucherschutz,
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