Die rebellische Republik / Warum wir uns nicht für dumm verkaufen lassen
sprichwörtlichen Nerven wie Drahtseile haben, sich mit dieser verkommenen Bagage überhaupt noch an einen Tisch zu setzen.
Schmierblätter und Gossensender, die meist von Werbung, also von »der Wirtschaft«, abhängig sind; und denen im Dienste der Bestreikten beim Aufhetzen der Bevölkerung (fast) jedes Mittel recht ist.
Grundsätzlich sind von fast jedem Streik zumindest einige Bürger betroffen, dies gilt für Arbeitskämpfe von Bäckern, Briefzustellern und Busfahrern wie für die von Müllentsorgern und Zahnärzten. Und fast immer wird versucht, extrem ausrastende Betroffene in Wort und Bild als »die Deutschen« zu präsentieren und die eigentlich nur mäßig interessierte Mehrheit mit dieser Hysterie anzustecken. Schließlich gibt es ja Amüsanteres, als im Müll zu waten, tagelang auf wichtige Post zu warten oder im Stau, im Bahnhof oder im Flughafen festzusitzen.
Und bei der allgemeinen lustigen Lokführerjagd durfte natürlich auch
Spiegel Online
nicht fehlen: » 1400 Lokführer legen Deutschland lahm – Passagiere sauer«, hieß es am 18 . November 2007 . »Leere Bahnhöfe, Autokolonnen, wütende Pendler – die GDL hat heute wieder einen Streik hinter sich gebracht. Am Nachmittag will sie über weitere Aktionen entscheiden. Einer Umfrage zufolge schwindet das Verständnis der Bahnfahrer für die Lokführer-Forderungen.« [593]
Wer sich in solchen Zeiten ausschließlich in gewissen Medien informiert, der liest, hört und sieht irgendwas von schreienden Kindern, weinenden Müttern, tobenden Vätern, zerstrittenen Pärchen und verzweifelten Senioren. Er erlebt durch die Mikrophon-Paparazzi eine Familie im stressigen Stau, die ihren Flieger nach Florida verpassen wird; junge Heiratswillige, die wegen des Zugausfalls ihre eigene Hochzeit versäumen werden und sich darüber in die Haare geraten; eine einsame Alte, die nun doch nicht und wohl zum letzten Mal ihre krebskranke Tochter besuchen kann. Und schuld an all diesen menschlichen Tragödien, an Not und Elend sind allein die Lokführer, und man beginnt angesichts des scheinbar kollektiven Volkszorns um Leib und Leben der rebellischen Eisenbahner zu fürchten. Zumal das Ganze am 10 . Oktober von einer Forsa-Umfrage scheinbar hochwissenschaftlich untermauert wurde. Demnach hatte »erstmals« eine Mehrheit den Lokführerstreik abgelehnt. 55 Prozent hätten ihr Unverständnis über den Arbeitskampf geäußert und nur 43 Prozent sich einsichtig gezeigt.
Einmal davon abgesehen, dass allein durch das Wörtchen »erstmals« sogar hier zugegeben wird, dass aller Hetze und Demagogie zum Trotz bislang eine Mehrheit hinter den Lokführern stand: War die Stimmung wirklich gekippt? Und was heißt hier Forsa? Die
Frankfurter Rundschau
zum Beispiel sprach wahrheitsgetreu von einer »Forsa-Umfrage im Auftrag des Bahn-freundlichen Instituts Berlinpolis«. [594] Das Ganze war also das Werk einer bahnfreundlichen, dem Normalbürger bislang völlig unbekannten Klitsche. Der Volkswirt Albrecht Müller informierte dazu in seinen NachDenkseiten: »berlinpolis arbeitet mit der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft und anderen einschlägigen Einrichtungen zusammen. Irgendjemand muss berlinpolis den Auftrag für diese Umfrage gegeben haben.« Zudem berichtete er aus seiner langjährigen Erfahrung als Leiter der Planungsabteilung im Bundeskanzleramt unter Willy Brandt und Helmut Schmidt ( 1973 bis 1982 ), dass einige Institute die Ergebnisse der Umfragen durchaus nach den Wünschen der Auftraggeber fabrizieren. [595]
Nur einen Tag später jedenfalls, am 11 . Oktober, brachte uns eine Umfrage von infratest dimap im Auftrag des
ARD -Morgenmagazins
für den
DeutschlandTrend
ins Grübeln. Demnach war nämlich die Zustimmung von ohnehin schon 57 Prozent Anfang Oktober nunmehr auf 64 Prozent gestiegen. [596]
Dieses Ergebnis veröffentlichte dankenswerterweise auch
Focus Online
– allerdings unter der verdrehenden Überschrift
Mit der Geduld am Ende.
Den Titel rechtfertigte man mit der »nicht repräsentativen« Meinung von wutschnaubenden Lesern – was wohl eher ein Schlaglicht auf die
Focus
-Kundschaft wirft. Fest steht: Hätten Bahn und Bund nicht die ganze Zeit gewusst, dass zwei Drittel der Mehrheit gegen sie sind, hätten sie nie den Forderungen der Lokführer großenteils nachgegeben. Immerhin: Minister Tiefensee, SPD -Chef Beck und Bahn-Boss Mehdorn sind Geschichte, während die GDL offenbar blüht und gedeiht.
Nach Angaben der Transnet wechselten im
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