Die rebellische Republik / Warum wir uns nicht für dumm verkaufen lassen
Rahmen der Tarifauseinandersetzung bis Mitte August 2007 nahezu 1000 Gewerkschaftsmitglieder zur GDL . [597] Ferner traten allein in Berlin rund 700 Mitglieder, zumeist Bus- und Straßenbahnfahrer von ver.di zur GDL über, nachdem ihre bisherige Gewerkschaft nur einen mickrigen, offenbar an den Börsengelüsten der Bahnbosse orientierten Tarifvertrag »ausgehandelt« hatte. Ähnliche Effekte wurden auch in Nürnberg und München beobachtet. [598] Inzwischen organisiert die GDL nach dem erfolgreichen Streik bei der Deutschen Bahn auch zunehmend U-Bahn-, Straßenbahn- und Busfahrer; in Berlin, München, Nürnberg und Saarbrücken gibt es jetzt Ortsgruppen.
Im September 2010 war es dann so weit: Die GDL bestreikte während des Oktoberfestes die U-Bahn der trinkfreudigen Isar-Metropole. Spätestens jetzt mischte sich auch
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als Anwalt des kleinen Mannes ein: »Schon wieder Streik – München hat die Schnauze voll.« [599] Immerhin ließ man im Internetforum auch einen der Beschimpften, zufälligerweise einen kleinen Mann, zu Wort kommen: »Auf der Wiesn feiern eh nur noch Promis oder Bonzen. Wir vom öffentlichen Nahverkehr können uns das eh nicht mehr leisten, da der Lohn bei uns immer mehr gekürzt wird.«
Ohne die Notwendigkeit einer starken Einheitsgewerkschaft zu bezweifeln, kommt man dennoch nicht umhin festzuhalten, dass im Gegensatz zu den DGB -Unterabteilungen die GDL tatsächlich einiges für die Beschäftigten herausholt. Ratsam wäre es allerdings, auch Forderungen zur Sicherheit der Züge in den nächsten Streikforderungskatalog aufzunehmen: Zum einen würde dies auch die Interessen der bei Bahnstreiks genervten Fahrgäste treffen. Und wer, wenn nicht die Lokführer, sind von kaum gewarteten Schienen, vergammelnden Zügen und daher lebensgefährlichen Fahrten am meisten betroffen?
Immerhin mahnte GDL -Chef Claus Weselsky im Juli 2010 eine bessere Wartung der Züge an, die nicht erst bei notwendigen Reparaturen beginnen dürfe. Die Probleme mit den Achsen und fehlende Züge nannte er als Beispiele, die zu Veränderungen in den Wartungszyklen geführt hätten. Er erwarte vom Bahn-Vorstand, die Wartungszyklen zu verkürzen, die Technik auf absolut positivem Stand zu halten und mehr Material zu beschaffen. Und er warnte vor dem Irrglauben, dass es mit dem bisherigen Sparkurs so weitergehen könne. [600]
Haste nix, biste nix – Hartz IV und die Menschenwürde
Dass die besten Satiren nicht von phantasiebegabten Starautoren geschrieben werden, sondern vom wirklichen Leben selbst, bewies einmal mehr der Kurzname für das
Vierte Gesetz für Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt.
Auf die Frage wissbegieriger Jugendlicher oder ausländischer Besucher: »Nach wem wurde eigentlich Hartz IV benannt?«, antworten wir peinlich berührt oder offen hämisch, jedenfalls wahrheitsgemäß: »Nach einem deutschen Top-Konzernmanager und Wirtschaftskriminellen, der wegen Untreue zwei Jahre Haft auf Bewährung und eine Geldstrafe von 576000 Euro bekam.« [601]
Andere Völker geben ihren Gesetzen Namen von Wissenschaftlern, Ingenieuren oder Siegern bei einer Verfassungsklage. Die rot-grüne Regierung aber benannte eines der umstrittensten Gesetze seit Bestehen der Bundesrepublik nach dem Bösewicht in einer »Affäre aus Sexpartys, Bestechung und Bereicherung«. [602]
Kaum hatte Peter Hartz den Bericht seiner Kommission »Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt« am 16 . August 2002 im Berliner Französischen Dom dem Kanzler überreicht, regte sich erster Protest, und zwar in Form einer spontanen Kundgebung mit einem Häuflein von etwa hundert Leuten vor dem Arbeitsministerium. Bereits am 7 . September gingen über 1500 aufgebrachte Oldenburger gegen die offenbar von der SPD / FDP -Stadtratsmehrheit schon geplante Hartz-Umsetzung auf die Straße.
Eine Woche später in Köln waren es schon 40000 , die genau eine Woche vor der Bundestagswahl für
soziale Gerechtigkeit, Solidarität, Frieden
und
Demokratie
auf die Straße gingen. Aufgerufen hatten Attac und die Jugendverbände einiger Gewerkschaften.
Am 5 . Dezember 2002 demonstrierten 5000 aufgebrachte Hamburger gegen Hartz, die Kürzungspolitik des CDU /Schill-Partei-Senats und die von Innensenator Ronald Schill veranlasste Räumung des Bauwagenplatzes Bambule in St. Pauli. Aufgerufen hatten ver.di und autonome Gruppen.
Nach der Räumung wurde fast täglich demonstriert, auch per Fahrrad oder mit Laternen. Nachts trieb die Polizei Kundgebungen
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