Die Rebenprinzessin
Äbtissin war offenbar in alles eingeweiht. Sie bedachte Bella mit einem Blick, der keine Empfindung verriet, wenngleich die junge Frau wusste, dass in ihr ein regelrechter Wirbelsturm tobte. Wer konnte schon wissen, was der Graf ihr hatte ausrichten lassen.
»Ich hätte nicht gedacht, dich so bald wiederzusehen«, sagte die Äbtissin streng, was in Bella ungute Ahnungen aufkommen ließ. Offenbar hatte ihr Vater ihr allein die Schuld an den Vorgängen gegeben.
Bevor Bella etwas erwidern konnte, wandte sich die Äbtissin an den Boten. »Ihr könnt wieder abreisen, Herr Oldenlohe. Richtet dem Grafen meine Grüße aus und sagt ihm, dass für seine Tochter vortrefflich gesorgt wird.«
»Verzeiht, Äbtissin, aber der Graf hat mich angewiesen, in der Nähe des gnädigen Fräuleins zu bleiben. Er befürchtet, dass es erneut einen Versuch geben wird, sie zu entführen.«
Die Mutter Oberin blickte ihn verwundert an, dann fragte sie: »Misstraut mir der Herr Graf etwa? Glaubt er, ich weiß meine Schäflein nicht zu hüten?«
»Das schon, aber …«
»Mein lieber Herr Oldenlohe, so lange Fräulein Bella in meinem Haus ist, wird ihr kein Unheil widerfahren. Ich werde sie wenn nötig persönlich vor Entführern und anderen Unholden beschützen.«
»Aber mein Herr …«
»In diesem Haus Gottes bin ich die Herrin! Reist zurück zu Eurem Herrn und richtet ihm meine Grüße aus.«
Heinrich Oldenlohe schnappte nach Luft, wusste allerdings nichts zu erwidern. Daher machte er eine Verbeugung vor der Äbtissin und sah dann zu Bella hinüber, die seinen Blick nicht erwiderte.
Ihr erwartet sicher, dass auch ich meinem Vater ein paar Worte ausrichten lasse, dachte sie, denn obwohl sie nicht hinsah, spürte sie seinen Blick genau. Aber es gibt nichts, was ich ihm zu sagen hätte.
»Komm, mein Kind. Ich bringe dich zu deiner Zelle.« Die Hand der Äbtissin legte sich beschützend auf Bellas Schulter und zog sie mit sanfter Gewalt mit sich.
Während sie dem Haupthaus zuschritten, betrachtete die junge Frau das Laub auf ihrem Rocksaum und fragte sich, was Martin wohl in diesem Augenblick tat.
Nachdem die Äbtissin Bella in ihre alte Zelle geführt hatte, schloss sie die Tür hinter sich und sah das Mädchen lange an.
»Ich bin nicht betrübt, dich wiederzusehen«, begann sie. »Allerdings hätte ich nicht damit gerechnet. Du musst deinen Vater ziemlich verärgert haben.«
Bella sagte dazu nichts. Sie ließ ihr Bündel auf das Bett fallen und senkte den Kopf.
»Du bist nicht hier, um dir Vorwürfe anzuhören. Die Strafe, die dir gebührt, hast du gewiss von deinem Vater bekommen.«
Und ob ich die bekommen habe, dachte Bella trotzig. Das Kloster war aber besser als Roland von Hohensteins Bett.
»Ich will deinen Aufenthalt hier jedenfalls nicht als Strafe verstehen«, fuhr Magdalena fort. »Vielmehr bin ich dazu da, dich auf den rechten Weg zurückzuführen und deine Seele zu schützen.« Der etwas versöhnlichere Ton der Mutter Oberin konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie von nun an strenger mit Bella umgehen würde. »Du wirst dich nachher gleich im Weinkeller einfinden, wo du den Schwestern beim Weinabstich helfen kannst. Vielleicht klärt das deine Gedanken. Solltest du dein Herz ausschütten wollen, kannst du jederzeit zu mir kommen.«
»Ja, Mutter Oberin«, entgegnete Bella, wusste aber, dass sie ihr von dem Leid, das sie plagte, nicht erzählen konnte. Sie verzehrte sich vor Sehnsucht nach Martin! Auch in diesem Augenblick.
Der Abend, an dem ihr Vater zu ihr gekommen war und ihr gesagt hatte, dass Martin Graf von Bärenwinkels Sohn sei, kam ihr wieder in den Sinn. Er hätte es mir erzählen müssen, dachte sie mit einem Anflug von Ärger auf den Jungen. Er hätte mich nicht belügen dürfen.
Aber seltsamerweise kühlten auch diese Gedanken nicht die Leidenschaft, die sie für ihn empfand. Sie dachte wieder an den Brief, den er ihr geschrieben hatte. Den Brief, den sie unter ihrem Bett versteckt und dort nun leider vergessen hatte.
Martin hatte ihr Hilfe angeboten und ihr – wenn auch etwas hilflos – seine Gefühle gestanden. Das konnte nicht gelogen sein!
Die Mutter Oberin sagte noch etwas zu ihr, doch Bella hörte nicht hin.
»Nun mach dich fertig und melde dich dann bei Schwester Johanna«, waren die ersten Worte, die wieder zu ihr durchdrangen.
Wenig später klappte die Tür zu, und der Weihrauchduft, der von Magdalenas Kleidern ausgegangen war, wurde schwächer. Den Tränen nahe ließ sich
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