Die Rebenprinzessin
der Pforte der Thronhalle lauerte.
Schwermut erfasste Bellas Seele und Schwäche ihre Glieder. Es hatte ihr nichts ausgemacht, die ihr aufgetragenen Arbeiten zu erledigen. Die Mutter Oberin hatte sie nicht anders behandelt als vorher, und wenn sie ehrlich war, tat ihr nach den Wochen der Aufregungen die Ruhe auch mal ganz gut.
Natürlich vermisste sie ihren Weinberg, doch auch das wäre zu ertragen gewesen, wenn es in ihrem Herzen nicht diese Flamme gegeben hätte, die sich durch nichts löschen ließ.
Als sie vor dem Kruzifix niederkniete, meinte sie Martins Gesicht in dem gekreuzigten Jesus zu erkennen. Sie glaubte ihn zu sehen, wie er im Kerker ihres Vaters an einem Pfosten hing und von den Bütteln gequält wurde. Obwohl sie wusste, dass ihn der Graf von Bärenwinkel in Wirklichkeit fortgeholt hatte, versetzte ihr dieses Bild einen derartigen Schrecken, dass sie sogleich von dem Gebet absah und sich auf die Pritsche sinken ließ. Tränen schossen ihr in die Augen.
Warum gibt es nur diesen Hass zwischen unseren Familien?, fragte sie sich.
Ein Geräusch vor ihrer Tür schreckte sie aus ihren Gedanken fort. Als sie aufblickte, sah sie, wie sich die Tür zaghaft Stück für Stück vorsichtig aufschob.
»Komm nur herein«, rief Bella. »Du störst mich nicht.«
Wenig später blickte sie in Annas Gesicht. Den ganzen Tag über hatte die Novizin versucht, in ihre Nähe zu kommen, doch es hatte sich nie die Gelegenheit für ein ungestörtes Gespräch ergeben. Wahrscheinlich hatte die Mutter Oberin dafür gesorgt, doch jetzt war sie nicht hier und konnte Anna auch nicht fortscheuchen.
»Ich wollte nur mal sehen, wie es dir geht«, sagte das Mädchen zögerlich.
Bella lächelte spöttisch. »Wie soll es mir schon gehen? Ich wurde aus meinem Elternhaus vertrieben und von meinem Geliebten weggerissen. Der Zustand meines Körpers dagegen ist ganz ordentlich.«
Anna senkte betroffen den Kopf, und nach kurzem Zögern stieß sie die Tür ins Schloss. Mehr als herumstehen tat sie erst einmal nicht, wahrscheinlich wartete sie darauf, dass Bella etwas sagte.
Tatsächlich klopfte die Grafentochter neben sich auf die Pritsche und sagte dann: »Setz dich nur zu mir. Über ein wenig Gesellschaft wäre ich sehr froh, dann muss ich nicht ständig an ihn denken.«
»Wie ist er denn so?«, wollte Anna wissen, nachdem sie sich neben Bella niedergelassen hatte.
Die Grafentochter unterdrückte ein Seufzen. Ihr war eigentlich nicht danach, über Martin zu reden. Doch Anna konnte weder gegen ihre Neugierde angehen noch wissen, wie viel Schmerz es ihr bereitete, von ihm getrennt zu sein. Also wollte sie ihr den Gefallen tun. Im nächsten Moment fragte sie sich allerdings, wie sie Martin eigentlich wahrgenommen hatte. Bisher hatte sie sich keine Gedanken darüber gemacht. Wenn sie ihn gesehen hatte, war es, als würde in ihrem Herzen eine Sonne aufgehen.
Jetzt fragte sie sich, was ihr eigentlich an ihm gefiel. Seine Augen? Der etwas unordentliche Haarschopf, der ihm das Aussehen eines Kobolds verlieh?
»Er hat das schönste Lächeln, das du dir an einem Mann vorstellen kannst«, hörte sie sich schließlich sagen. »Es geht beinahe von einem Ohr zum anderen.«
Anna, die offenbar etwas anderes erwartet hatte, zog verwundert die Augenbrauen hoch. »Das ist alles?«
»Natürlich sieht er auch gut aus und hat beste Manieren. Aber mittlerweile bin ich sicher, dass mich sein Lächeln dazu gebracht hat, mich in ihn zu verlieben.«
Anna dachte eine Weile darüber nach. »Ich stelle es mir wunderbar vor, einen Liebsten zu haben«, schwärmte sie dann. »Jemanden, der immer an dich denkt und der sein Leben für dich riskieren würde.«
In ihrer Begeisterung übersah die junge Frau ganz, dass Bella mit den Tränen rang. Doch sie fasste sich sofort wieder, denn sie wusste, dass ein Weinkrampf ihr nicht weiterhelfen würde. »Ja, es kann ganz wunderbar sein und gleichzeitig auch ganz furchtbar.«
Anna ergriff nun ihre Hände, eine Geste, die Bella von ihrer neugierigen Freundin nicht erwartet hätte. »Wart’s ab, wenn er dich wirklich liebt, wird er einen Weg finden, dich hier rauszuholen oder deinen Vater zu überzeugen, es zu tun.«
Das ist gut gemeint und leicht gesagt, dachte Bella bitter. Wenn mein Vater Martin noch einmal sieht, wird er ihn wahrscheinlich auf der Stelle töten.
Aber Anna zuliebe nickte sie und lenkte dann das Thema auf ihren Weinberg, über den sie auch schon zu früheren Zeiten viele Geschichten erzählt
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