Die Rebenprinzessin
wies sie stets zurück.
»Wie sonst sollen wir an unser Wissen kommen?«, pflegte sie dann immer zu antworten. »Außerdem könnte die Bibliothek des Bischofs doch von einem Feuer heimgesucht werden.«
Als Bella an ihr Pult trat und das ihr zugedachte Pergament aufrollte, entdeckte sie einige Zeichnungen von Adam und Eva sowie einen Text über den Sündenfall. Es war eine sehr schöne Passage und nicht allzu schwer zu vervielfachen. Dennoch erstarrte Bella, denn eine der Eva-Figuren trug unter ihrem blauen Gewand ein Kind.
Der Sündenfall, ging es ihr durch den Sinn. Auch du bist eine Sünderin, deren Vergehen bald offenbar werden wird. Ist es Zufall oder Absicht, dass ich gerade diese Rolle bekomme? Ahnt die Mutter Oberin etwas?
Bella blickte zur Äbtissin hinüber, die sich gerade mit der Mesnerin unterhielt. Die anderen Schwestern hatten ihre Plätze an den Pulten bereits eingenommen. Einige zupften ihre Federkiele zurecht, andere überprüften die Spitzen ihrer Federn.
Vielleicht ist es aber ein Fingerzeig Gottes …
Diese Erkenntnis ließ ihre Hände zittern, als sie zur Feder griff. Sie versuchte, sich zur Ruhe zu zwingen, doch immer wieder zog die Angst in Wellen durch ihren Leib. Mit Mühe und Not schaffte sie es, das Initial zu zeichnen und die dazugehörigen Sätze abzuschreiben. Dann sagte sie sich, dass sie vielleicht ruhiger werden würde, wenn sie mit blauer Farbe das Initial ausmalte.
»Du solltest etwas weniger Farbe auf den Pinsel tun, sonst ruinierst du das Initial«, ertönte hinter ihr die Stimme von Magdalena.
Bella war dermaßen in Gedanken versunken, dass sie um ein Haar einen großen Klecks auf das Pergament gemacht hätte. »Verzeiht, Mutter Oberin«, entgegnete sie. Damit machte sie sich wieder an die Arbeit, doch besser wurde es nicht. Die Zeichnungen bereiteten ihr ungewohnte Schwierigkeiten, und besonders vor dem Bild mit der schwangeren Eva scheute sie sich.
Ich hätte zu Hause vielleicht ein wenig üben sollen, ging es ihr durch den Sinn. Doch konnte ich wissen, dass ich eines Tages wieder hierher zurückkehren werde?
Natürlich fiel der Mutter Oberin auf, dass Bella bei ihrer Arbeit viel fahriger war als sonst. Das Mädchen hatte das Gefühl, dass Magdalena sie seit dem ersten Fehler besonders gründlich im Auge behielt – oder lag es doch daran, dass die Äbtissin von ihrem Zustand wusste? Hatte Anna ihr von dem Zusammenbruch erzählt?
Nachdem sie sich ihre innere Unruhe und die Fehler, die sie bei der Arbeit machte, eine Weile angesehen hatte, zitierte die Mutter Oberin sie schließlich in ihre Schreibstube.
Beklommen krampfte Bella die Hände in den Rock ihres Kleides. Früher hatte sie nur selten den Blick eines Menschen gemieden, doch jetzt fürchtete sie, dass die Äbtissin ihr die Schwangerschaft ansehen konnte. Sie erinnerte sich an Oda, die plötzlich verschwunden war, sie erinnerte sich an die Schatten und die Angst im Blick der Magd. Wahrscheinlich sehe ich jetzt auch so aus, sagte sie sich.
»Was ist nur mit dir, mein Kind?«, fragte Magdalena, während sie die Hände über einer Pergamentrolle faltete. Ihr Tonfall war dem von Anna neulich nicht unähnlich. »So kenne ich dich gar nicht. Bevor du von hier fortgegangen bist, warst du fröhlich und arbeitsam. Jetzt ziehst du dich immer mehr zurück. Dein Blick wirkt entrückt, deine Hände sind unsicher … Welcher Kummer nimmt dein Herz gefangen?«
Das wisst Ihr nicht?, fragte sich Bella verwundert.
Offenbar hatte Vater der Äbtissin doch nicht in vollem Umfang mitgeteilt, was passiert war. »Vielleicht liegt es daran, dass mich die Wochen außerhalb des Klosters verändert haben«, entgegnete sie leise.
Die Mutter Oberin runzelte daraufhin die Stirn. »Dein Vater hat mir berichtet, dass du dich gegen deine Heirat aufgelehnt hast. Und dass du hierbleiben sollst, bis er einen anderen Mann für dich gefunden hat.«
»Ich liebe den Fürsten nicht«, entgegnete Bella. »Warum sollte das heilige Sakrament der Ehe auf einer Lüge aufbauen?«
Ein Lächeln huschte über die Miene der Äbtissin, wie ein Windhauch eine Kerze für kurze Zeit zusammenzucken ließ. »Wie ich sehe, ist dein Verstand immer noch scharf. Und wie ich dich kenne, hast du dich mit aller Kraft gewehrt.«
»Was hätte ich denn tun sollen?«, fragte Bella und spürte, wie ihre Unsicherheit wieder dem Zorn wich. »Der Mann, den mein Vater ausgesucht hat, hatte einen schlechten Charakter und war unmoralisch. Er hat eine meiner Mägde
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